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Flocken mit dem Taschentuche auf. Als er das ganz durchweichte Tuch wieder in die Brusttasche steckte, horchte er plötzlich auf.

Was war das? Er sah Proud nicht mehr, aber aus ganz geringer Ferne kam das dumpfe, freudige Gebell, mit dem er die Freunde seines Herrn zu begrüßen pflegte. Und als Wolfgang einige Schritte vorwärts gethan hatte, erkannte er durch das dichte Gestöber die Umrisse einer weiblichen Gestalt; Prouds buschiger Schweif war in rascher Bewegung — wer konnte das sein?

Der Gedanke „Martha Hoyer“ ward ebenso schnell mit einem unmutigen Kopfschütteln verworfen, als er gekommen war; wie konnte man nur auf einen so phantastischen Einfall geraten? Und dennoch — wie hätte er Martha verkennen können? Halb in Freude, halb in Schreck war er im Nu neben ihr, und es war eine alle Verstellung verschmähendes, besorgtes und teilnahmvolles: „Sie hier, Fräulein Hoyer, in diesem heillosen Unwetter?“, das er hervorstieß.

Sie war es in der That, erschöpft, halb bewußtlos, von dem ihr entgegenbrausenden Sturm an die Stelle gefesselt; ihre Knie wollten brechen, und der Blick, der den Kommenden traf, drückte die vollste Hilflosigkeit und doch auch einen Herzensjubel aus, der wohl nicht bloß dem Retter, sondern zum guten Teil gerade diesem Retter galt.

Sie versuchte, zu sprechen, aber der Sturm nahm ihr die mit schwacher Stimme gehauchten Worte von den Lippen und führte sie davon.

Wolfgang, der einen Moment nicht wußte, ob er wachte oder träumte und ob das ganze nicht vielleicht doch nur ein Spuk seiner erregten Sinne war, — so überwältigte ihn die unwillkürliche Freude über diesen wunderbaren Zufall, — hätte im nächsten Augenblick hinausjauchzen mögen in den Sturm; seine Sehnen strafften sich und er wünschte, daß die Gefahr größer sein möchte, als sie war; er fühlte sich allem gewachsen, und eine fast übermütige Kampflust loderte in ihm auf und forderte die Wut des Sturmes auf, ihr Aeußerstes zu thun. Ihm war nicht bang, und freundlich ermunternd rief er Martha zu:

„Fürchten Sie nichts, die Geschichte hat ganz und gar nichts zu bedeuten und ich bringe Sie sicher hinab in die Stadt. Geben Sie mir nur Ihren Arm, und dann wollen wir es einmal vereint mit diesem unmanierlichen Nordost aufnehmen. Können Sie schon wieder weiter oder wollen Sie noch ein paar Minuten rasten?“

Sie nickte nur und that als Antwort einen Schritt dem Sturm entgegen.

„Brav so, wir dürfen uns doch auch nicht von Proud beschämen lassen.“ Das stolze Tier hatte sich bereits wieder mit gesenktem Kopf in Marsch gesetzt, aber in dem Augenblick, in dem es den Hohlweg und den Schutz der Seitenwände desselben verließ, warf es die Gewalt des Sturmes, der an dieser Stelle am tollsten tobte, fast auf die Seite, so daß es ein murrendes Geheul ausstieß; und auch Wolfgang und Martha wankten, als sie diese kritische Ecke, vor der Martha eine Viertelstunde

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_160.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)