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dieses plötzlich entstandenen Planes nicht verhindern, und erst im Frühjahr kehrte sie nach M. zurück. Bis dahin aber hatte sich viel geändert.

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Wenige Wochen nach jenem Abend schon ergriff der Winter Besitz von den das Städtchen umschließenden Höhen und drang die Hänge hinab ins Thal vor. Die einsamen Ausflüge Wolfgangs, der seinen Gewohnheiten auch im Winter nicht entsagen mochte, und dessen Stimmung ganz danach angethan war, an grauen Novembernebeln und wirrem Flockengestöber Gefallen zu finden, mieden jetzt, wo er kaum noch Gefahr lief, unvermutet Martha zu begegnen, die Höhe hinter dem Park des Kommerzienrats und den Hohlweg nicht mehr, in dem er Martha kennen gelernt, und eher hätte behauptet werden können, daß er diese Punkte mit einer gewissen Vorliebe aufsuche. Er würde freilich, hätte man ihm diesen Umstand neckend vorgehalten, behauptet haben, daß dies purer Zufall sei und völlig absichtslos geschehe.

Weihnachten war nicht mehr gar fern, als er an einem Sonntagabend, im Begriff, den Heimweg von einem eine Meile entfernten Dorfe anzutreten, von einem heftigen Schneesturm überfallen ward. Man riet ihm aus einem der letzten Häuser des Dörfchens mit freundlichem Zuruf, ja auf der Straße zu bleiben, aber er schlug dennoch einen Feldweg ein — es war, als übe der Hohlweg, den er auf diesem Wege berühren mußte, eine magische Anziehungskraft auf ihn aus, ja, als sei der weite Marsch, den er sich und Proud zugemutet, nur ein Vorwand dafür gewesen, dem Hohlweg einen Besuch zu machen. Er achtete es kaum, daß der Sturm fortwährend an Heftigkeit zunahm und daß er nur langsam vorwärts kam. Der feuchte Schnee, der sich bereits wie eine dicke Kruste schwer auf seinen flockigen Paletot gelegt hatte, ballte sich an den Sohlen und Absätzen seiner hohen Stiefel, und nur mit Anstrengung setzte er einen Fuß vor den andren. Die großen Flocken füllten seine Augen, vor die sie sich momentan wie dichte, weiche Körper gelegt hatten, immer wieder mit Nässe, so daß er gezwungen war, die Lider halb zu schließen und nur zu blinzeln; er konnte ohnedies in dem dichten, grauen Gestöber nur wenige Schritte vor sich sehen und kaum noch Proud erkennen, der verdrießlich und schnaufend mit gesenktem Schweif durch den Schnee watete und von Zeit zu Zeit den mächtigen Kopf hob, um einen fragenden Blick auf seinen Herren zu heften und dann resigniert seinen Weg fortzusetzen.

So kamen sie, standhaft gegen den heulenden Sturm ankämpfend, in den Hohlweg, der schon arg verschneit war und in dem Wolfgang wiederholt bis an die Knie in lose Wehen versank. Unwillkürlich suchte sein Blick das Brombeergestrüpp, durch dessen stachliches Gewirr er einst Martha in die Höhe zog; die kahlen Ranken ragten noch aus der weißen Hülle hervor, und er blieb einen Augenblick stehen, um — mußte es gerade an dieser Stelle sein, Freund Wolfgang? — Atem zu schöpfen. Er rückte die weiche Bibermütze aus der Stirn und trocknete die großen Schweißperlen und die Nässe der von der Hautwärme geschmolzenen

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 159. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_159.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)