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aber doch nicht für einen verdrehten Sonderling gehalten zu werden. Erst so rückt, was mir heute miteinander verhandelt haben, in die richtige Beleuchtung, und sollte an voller Klarheit nicht auch Ihnen gelegen sein?“

Sie waren mittlerweile wieder an die Pforte angelangt und Frau von Larisch nahm rasch ihren Arm von dem Wolfgangs und trat in den Park. Noch einmal haftete ihr Blick — der Mond war inzwischen emporgestiegen — an Wolfgangs Zügen, dann sagte sie:

„Ich gebe gern zu, daß wir zu voller Klarheit gelangt sind, und das hat seinen unleugbaren Wert. Zudem bin ich um die Erinnerung bereichert, einmal eine Stunde lang im Abenddunkel mit einem Doktrinär pur sang im Walde spazieren gegangen zu sein — Sie werden es verzeihlich finden, wenn diese Erinnerung jedesmal ein Lächeln auf meine Lippen ruft.“

„Gewiß nicht, nur wünsche ich, daß es kein bitteres sei. Ich werde von meinem Philosophenrecht Gebrauch machen, höchstens nachdenklich zu lächeln, und da Sie ja wohl kaum in Versuchung geraten werden, von dem heutigen Abend gegen einen Dritten etwas zu erwähnen, so will ich Ihnen meinerseits ausdrücklich versprechen, ebenso zu handeln. Meine Lippen, gnädige Frau, sind versiegelt — (sollte auch darin ein Doppelsinn liegen? Frau von Larisch neigte zu dieser Annahme) auch für den Fall, daß meine Tage hier, wie ich vermute, gezählt sein sollten!“

Diese leichte Mahnung an den Ausgangspunkt ihrer eigentümlichen Unterhaltung brachte dieselbe zu Ende. Frau von Larisch drehte den Schlüssel um, gab ihn: ein vieldeutiges: „Das letztere glaube ich jetzt allerdings selbst! Ihnen ist schwerlich zu helfen, Herr Hammer!“ zurück, und war mit einem plötzlichen, wieder weich und bewegt klingenden, fast zögernden: „Gute Nacht, leben Sie Wohl!“ in der Dunkelheit verschwunden.

Wolfgang kehrte sich scharf, beinahe heftig um und führte die Linke langsam und nachdrücklich über die Stirn; dann sagte er halblaut zu sich selber:

„Wieder ein Feind! Es wird nicht lange mehr dauern und es ist vielleicht am besten so.“ Und er schritt auf weitem Umweg langsam seiner Wohnung zu.

Mit dem „Feind“ irrte er aber doch. Leontine von Larisch war mindestens ein Feind, der das Feld räumte. Sie weinte in der Nacht, die diesem Abend folgte, zornige Thränen und zuckte bei jeder Erinnerung an die einzelnen Phasen dieses Gesprächs noch Wochen nachher zusammen, aber sie konnte sich, als der erste heiße Schmerz der erlittenen Demütigung verwunden war, nicht verhehlen, daß sie sich die derbe Lektion selber zugezogen hatte, und einer unedlen, kleinen Rache war sie nicht fähig. Sie besann sich am nächsten Tage auf eine alte, dringende Einladung zu einer in Berlin verheirateten Jugendfreundin, alle Vorstellungen und Bitten des Kommerzienrats und Emmys konnten sie an der Ausführung

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 158. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_158.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)