Seite:Ein verlorener Posten 157.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

makelloser sein können, als Ehen, bei denen es ganz normal und wohlanständig herging, die der Beamte in seine Bücher eingetragen und über die der geistliche Herr seinen Segen gesprochen hat — aber Ihrem scharfen Verstande wird es nicht entgehen, daß ich damit zwar Schranken niedergerissen, nur aber dafür neue aufgebaut habe, die viel schwerer zu überklettern sind, als die beseitigten. Schloß ich früher eine für alle Welt unangreifbare und „Gott wohlgefällige“ Ehe, wenn ich nur jene Bedingungen erfüllt hatte, die sich mit sehr unedlen Beweggründen meines Innern prächtig vertrugen, so hängt jetzt und vor dem Richterstuhl der neuen Moral die Gültigkeit und ethische Berechtigung einer Ehe von der Beantwortung der Gewissensfrage ab, ob es denn auch wirklich eine zwingende, aufrichtige, ehrliche Liebesneigung ist, die zwei Menschen zusammenführt. In dem von uns rein akademisch erörterten Fall muß die Frage zweimal verneint werden; davon, daß ich eine Liebesneigung für jene Dame empfände, kann zu allernächst keine Rede sein, aber es ist nicht einmal die Möglichkeit vorhanden, daß in mir je eine solche Neigung entstünde, denn — die Dame liebt ja auch mich nicht oder vielmehr, sie dürfte wohl nur einer halben Liebe fähig sein. Ich habe ihre Neigung offenbar mit dem bequemen, standesgemäßen Auskommen zu teilen, für das meine Liebe sie nicht entschädigen könnte — liebte sie mich, so würfe sie mit ihrem ganzen früheren Leben auch diese Rente über Bord, durch die ihr erster Gemahl sie selbst über das Grab hinaus an sich zu fesseln wünschte. Dazu aber, mich mit einem halben Herzen zu begnügen, bin ich nun doch zu stolz, und das hätten Sie wissen können, gnädige Frau.“

Frau von Larisch war schweigend und mit geringschätzig aufgeworfener Lippe neben ihm hergegangen; ihre feinen Nasenflügel vibrierten, und als Wolfgang geendet, sagte sie, mit der Spitze ihres Stiefelchens einen kleinen Stein weit wegschnellend, ironisch:

„Es ist bitter schade, Herr Hammer, daß Sie nicht Professor geworden sind — Sie würden Ihren aufmerksamen Zuhörern die lichtvollsten Exposés liefern, und die Hochschule, an der sie lehrten, würde um Sie beneidet werden. Ich erlaube mir gegen Ihre überzeugenden Deduktionen nur den einen schüchternen Einwand, daß Sie mit Ihren Anschauungen bezüglich der Liebe und der Ehe nicht sowohl ein Kind des neunzehnten Jahrhunderts, als vielmehr ein voreiliger Vorläufer kommender Jahrhunderte sind, die mit überlegenem Lächeln auf unsere vorurteilsvolle Beschränktheit herabblicken. Ob Sie dieses Bewußtsein auch noch in späteren Jahren darüber zu trösten vermag, daß Sie an der Gegenwart und an allem, womit sie Ihnen winkte, vorübergingen, weil sonst Ihr sublimes System zu schaden gekommen wäre, muß ich dahingestellt sein lassen. Einer Frau werden Sie leise Zweifel daran zu gute halten müssen.“

„Verzeihen Sie, gnädige Frau, wenn ich Sie gelangweilt habe, aber ich liebe reinen Tisch und wünschte, Ihnen Rechenschaft über meine letzten Beweggründe abzulegen, da mir, was Sie auch glauben mögen, daran gelegen ist, von Ihnen vielleicht für einen starren Principmann,

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_157.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)