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das leidenschaftliche Verlangen, Wolfgangs Arm zurückzustoßen, aber es war nur ein Moment. Mit Blitzesschnelle drängten sich in ihrem Kopfe die Gedanken, und mit der Erkenntnis, daß sie sich nur kompromittieren könne, wenn sie das beleidigte Weib herauskehre, fand die Weltdame auch ihre volle Sicherheit wieder. Später fand sich ja wohl eine Gelegenheit zur Rache, für den Augenblick mußte sie die tödliche Kränkung verbergen und den Schmerz verbeißen, die Vergeltungslust unterdrücken. Sie legte ihren Arm wieder auf den Wolfgangs, freilich lange nicht mehr so fest, wie vorher; und erwiderte, wenn auch mit einem nicht ganz zu unterdrückenden leisen Beben der Stimme, bedeutungsvoll und beziehungsreich:

„Sie haben sehr recht, Herr Hammer, das Herz spielt uns zuweilen, wenn Ort und Stunde dem günstig sind, sonderbare und höchst lächerliche Streiche, die wir bei kaltem Blut und klarem Sinn gar nicht zu begreifen vermögen. Im vorliegenden Falle ist es um so unverzeihlicher, daß ich mich von meinem lebhaften Temperament zu einer kleinen Ueberschreitung des gesellschaftlich üblichen Tones hinreißen ließ, als ich wußte, daß Sie bei weitem weniger Temperament besitzen, und als ich mir im voraus hätte sagen können, daß die Dame, für die ich bei Ihnen mit weniger Geschick und Umsicht, als Eifer plädierte, von Ihnen nichts zu erwarten hatte und daß unsere Unterhaltung doch lediglich eine akademische war.“

Wolfgang schien keine von den kleinen Malicen zu verstehen, die Frau von Larisch in diese Worte gepackt hatte, obgleich er jeden Stich fühlte. Er erwiderte ernst und ruhig:

„Ich bin weit davon entfernt, eine so spöttische Absicht gehabt zu haben, als Sie zu vermuten scheinen. Die von Ihnen an den Tag gelegte Wärme des freundschaftlichen Gefühls für jene Dame macht Ihnen in meinen Augen wirklich nur Ehre, ich bedauere sogar lebhaft, daß ich Ihre uneigennützige Absicht zu spät erriet, sonst würde ich Ihnen mit einer Erklärung zuvorgekommen sein, die unser Gespräch vor dieser Abschweifung bewahrt hätte. Aber was wollen Sie? Ich bin in vielen Stücken ein ungeleckter Bär, der seine angeborene Ungeschlachtheit auch darin beweist, daß er für eine Liaison, wie die von Ihnen angedeutete, keinen Sinn und kein Verständnis hat. Die Grundsätze des Salons sind mir gleich fremd wie sein Ton, und auch in Liebesdingen habe ich wunderbar altväterliche, pedantische und schwerfällige Maximen. Als ein Kind des neunzehnten Jahrhunderts habe ich allerdings längst begriffen, daß eine Ehe im besten und edelsten Sinne des Wortes nicht bloß ohne den Segen der Kirche, sondern auch ohne die Sanktion des Staates existieren kann, ich habe begriffen, daß ein Bündnis zwischen Mann und Weib keiner Formalitäten bedarf und daß es seine Heiligung durch die Tiefe, Wahrheit und Aufrichtigkeit der gegenseitigen Neigung erhält, ich habe begriffen, daß vom Standpunkt der reinen Moral aus Verhältnisse, über die die Welt die Nase rümpft und die Achseln zuckt, und von denen man in „guter“ und „anständiger“ Gesellschaft beileibe nicht sprechen darf, viel reiner und

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 156. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_156.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)