Seite:Ein verlorener Posten 154.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Sie würde zu jeder anderen Zeit die Veränderung in dem Tone Wolfgangs bemerkt haben, der es nie der Mühe wert hielt, sich zu verstellen und dem die Gabe der Verstellung auch nur in bescheidenem Maße zur Verfügung stand; jetzt war sie selber halb befangen und erregt, so daß ihr auch die leise ironische Färbung von Wolfgangs nächster Frage entging: „Und wie, wenn ich fragen darf, dachten Sie sich meine — Geliebte?“

Die Antwort erfolgte nicht sofort; es war, als habe Leontine ein Zaudern und Schwanken zu überwinden oder als suche sie nach den ihren Gedanken am klarsten wiedergebenden Worten. Ihre Stimme zitterte ein wenig, als sie endlich halb schüchtern sagte: „Sie sind von ernstem und nachdenklichem Wesen — Sie neigen sogar zur Melancholie; Sie würden die schönste und befriedigendste Ergänzung in einer Frau von heiterem Sinn, von neckischem und witzigen Wesen finden, die genug von der Welt weiß, um ihr nicht naiv und unerfahren gegenüberzustehen, und die vielleicht gerade darum die Tiefe des Gefühls zu schätzen weiß, deren Sie fähig sind, und von der man in der Welt glaubt, daß sie sich höchstens auf der Schwelle des Jünglingsalters finde, wo sie Hand in Hand mit allerlei ungenießbaren und komischen Extravaganzen geht, die uns beim besten Willen nicht gestatten, uns ernstlich mit dieser unreifen Empfindung einzulassen.“

Es war selbst Wolfgang nicht möglich, zu verkennen, daß Frau von Larisch von sich selber sprach, aber diese Entdeckung hatte durch die vorausgegangene Erwähnung Marthas und durch den geringschätzig-spöttischen Ton, in dem sie erfolgt war, alles Gefährliche, Betäubende, Verwirrende und Berauschende verloren. Jene Worte, die ihm sein Empfinden für Martha zum Vorwurf machen zu wollen schienen, hatten ihn tief verletzt, und indem sie das Bild der Stillen, Innerlichen vor ihm auftauchen ließen, hatten sie zugleich den süßen, verlockenden Spuk zerblasen, und er lief von diesem Moment an keine Gefahr mehr, von einer verzeihlichen und erklärlichen Wallung des warmen Jugendbluts in eine Selbstvergessenheit und Selbsttäuschung hineingelockt zu werden, die er am nächsten Tage bitter bereut haben würde; er hatte von jenem Augenblick an an seinem Stolz und an seinen Grundsätzen einen starken Bundesgenossen wider die bestrickende Nähe der schönen Frau, deren Atemzüge er hörte und deren Berührung ihn mit entnervendem Schauern durchrieselte; ja, er empfand etwas wie Bitterkeit gegen sie, und den Wunsch, sich dafür zu rächen, daß er trotz aller Gegenwehr doch sinnlich in dem Bann ihres Wesens stand und mit aller Anstrengung gegen denselben ankämpfen mußte. Es war nur noch das Verlangen, sie zum Fallenlassen der Maske zu verleiten und sie dann zu demütigen und ihr das feine Gewebe, das sie bereits halb über ihn geworfen, zerrissen vor die Füße zu werfen, das ihm die Worte diktierte:

„Ich kann und ich mag nicht leugnen, daß Sie da ein seltsam verlockendes Bild vor mir aufrollen, und daß mir um mich selber bange sein würde, nähme mir eine Frau, die diesem Bilde entspricht, jeden Zweifel

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_154.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)