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lassen. Sie glaubte mehr und mehr, einen tiefen Blick in sein Herz gethan zu haben, und nachdem er soweit aus sich herausgegangen war, ließ er sich wohl auch aus der letzten Verschanzung locken. Kam alles, wie sie wünschte und plötzlich hoffte, so schrak sie auch vor dem kleinen Wagnis nicht zurück, den verhängnisvollen ersten Schritt, zu dem er sich anscheinend nicht entschließen konnte, ihrerseits zu thun.

Sie mußte sich vor allen Dingen Gewißheit darüber verschaffen, wie Wolfgang innerlich zu Martha stand, ob nicht vielleicht aus ihr unbekannten Ursachen (und die Gründe, welche Liebende trennen, sind oft spinnwebendünn und spinnwebenfein) eine Entfremdung zwischen den beiden eingetreten war. Lag eine solche Entfremdung vor, so galt es, sich dieselbe zu nutze zu machen, wennschon sie daran, Wolfgang vielleicht für immer von Martha zu trennen, kein Interesse hatte. Vor einer ernsten Leidenschaft schrak sie ihrer ganzen Natur nach zurück; sie fand, da sie an Treue und Beständigkeit nicht glaubte, eine Frau bezahle solche Leidenschaften stets zu teuer — mit einem verwüsteten und ausgebrannten Innern und einem innerlich gebrochenen Sein. Dieser blonde Philosoph und Dichter vollends schien ihr ganz der Mann, pedantisch gründlich in einer Liebesleidenschaft zu sein, und deshalb fürchtete sie ihn, wenn er sie auch nicht gerade durch diese Schwere und Einseitigkeit in seinem Wesen mehr reizte, als jeder andere Mann, den sie bisher kennen gelernt. Es peinigte sie, daß er fortwährend wie ein ungelöstes Rätsel vor ihr stand; sie versprach sich eine eigentümliche, ironische Befriedigung von der Entdeckung, daß er nur durch einen fremdartigen Anstrich den Schein erhalte, anders zu sein, als die Männer, die sie bisher kennen gelernt; sie hatte sich endlich schon so manches Mal gestanden, daß seine Unempfindlichkeit für ihre äußeren Reize und die Anmut, Lebendigkeit und prickelnde Geistreichigkeit ihres Wesens eine Beleidigung ihrer Eitelkeit sei; sie mußte ihn zu ihren Füßen sehen. Und dann? Je nun, sie traute sich das Geschick zu, eine kleine, pikante, heiße Tändelei mit ihm zu unterhalten und dieselbe abzubrechen, sobald die Sache kritisch zu werden begann, sobald sie sich sagen mußte, daß sie anfing, die volle sichere Herrschaft über sich selber zu verlieren. War die Liebe eines Poeten ein Lilienkelch voll perlenden Champagners, so wollte sie den Schaum wegnippen und das Glas dann beiseite schieben; einer Frau von Geist und Erfahrung mußte das gelingen, und gelang es, so hatte sie das Buch ihrer Erinnerungen um ein ganz eigentümliches Blatt bereichert.

Es klang ganz unbefangen, aufrichtig und ernst, als sie Wolfgang, nachdem, sie geraume Zeit hindurch schweigend und nachdenklich neben ihm hergegangen war, wie mit plötzlichem Entschluß fragte:

„Haben Sie, als Sie so gleichmütig und gefaßt von der Möglichkeit eines baldigen Scheidens von uns sprachen, auch an Martha Hoyer gedacht? Ich habe, offen gestanden, geglaubt, daß sie Ihnen nicht ganz gleichgültig sei.“

Ihr scharfes Auge erkannte trotz der Dunkelheit, die rasch zugenommen

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 152. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_152.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)