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Ton gemacht und kann nicht dafür stehen, daß ich nicht auf die Dauer an dem Widerstreit zwischen einer ernsten Neigung und äußeren Verhältnissen ernstlich erkranke.“

Er dachte dabei an Martha, der er es vorwerfen zu dürfen glaubte, daß sie, gerade sie, keinen Schritt gethan hatte, wie Frau v. Larisch, und selbst die lustige, halb kindische Emmy. Der Aufschluß, der ihm von Frau v. Larisch gegeben, ließ ihm, trotz mancher rätselhaften Wendung, kaum einen Zweifel darüber, daß der erste Brief von Emmy herrührte; darauf, daß er nicht von Martha geschrieben war, hätte er blindlings einen Eid geleistet: Handschrift und Stil konnten nicht die ihren sein. Er vermochte eine Aufwallung von Bitterkeit und Trauer nicht zu unterdrücken und daran, daß seine Worte von Frau v. Larisch falsch gedeutet werden konnten, ja daß sie dieselben beinahe falsch deuten musste, dachte er mit keiner Silbe.

Frau v. Larisch verstand ihn aber wirklich falsch. Wenn er Martha liebte, wie sie bisher so fest geglaubt, wie konnte er dann von äußeren Hindernissen sprechen? War Martha nicht in jeder Hinsicht frei, brauchte er nicht bloß um sie zu werben, und konnte es denn einen Moment zweifelhaft sein, auch für ihn, daß er mit offenen Armen empfangen ward? Aber vielleicht hatte sie sich geirrt, vielleicht lag in Wolfgangs Worten eine Anspielung auf ein — möglicherweise nebenhergegangenes? — tieferes Empfinden für sie selbst und auf ihre Verhältnisse, die ja stadtkundig waren von denen er beinahe wissen mußte. Sie mußte ihn sondieren, und sie erwiderte mit einer Wärme, die Wolfgang unter anderen Umständen stutzig gemacht haben würde:

„Ist das auch eine echte Neigung, die sich von ungünstigen Verhältnissen, von zufälligen Unterschieden der sozialen Stellung und des Vermögens abschrecken läßt? Verdient sie nicht den Vorwurf der Kleinmütigkeit und des voreiligen Verzagens? Hat sie nicht die Pflicht, einen ernsten und entschlossenen Versuch zu wagen, ehe sie die Accente elegischer und schwermütiger Resignation anschlägt? Ich fürchte, Sie vergessen, daß Sie den ersten Schritt zu thun haben, daß er von Ihnen erwartet wird und daß Sie die Verhältnisse unrichtig beurteilen.“

Wolfgang sah düster vor sich nieder und zuckte traurig die Achseln. „Ich begehe vielleicht einen Fehler, aber ich habe den Mut nicht, den Sie von mir fordern. Wir sind eben alle das Produkt unserer Verhältnisse, unserer Erziehung und unserer Erfahrungen, und in jedem bilden sich gewisse Grundsätze aus, nach denen er handeln muß, wenn er sich nicht selber untreu werden will. Aber wollen wir das melancholische Gespräch nicht fallen lassen? Es kann kaum ein Interesse für Sie haben, und ich bitte, zu entschuldigen, daß ich diesen Ton angeschlagen habe. Es ist wohl die wehmütige Herbststimmung, für die ich immer besonders empfänglich war, die mich zu dieser Abschweifung auf ein so intimes Gebiet verleitet hat und mich der Gefahr aussetzt, von Ihnen für einen Lyriker aus System gehalten zu werden.“

Frau von Larisch war nicht geneigt, sich Wolfgang entschlüpfen zu

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_151.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)