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achselzuckend entgegenzunehmen. Das gefällt mir übrigens so gut, daß ich gern auf das Bewußtsein verzichte, Ihnen einen Dienst geleistet zu haben.“

Es lag etwas wie Bewunderung in dem Ton, mit dem diese Worte gesprochen wurden und in dem Blick, der sie begleitete.

Aber Wolfgang erwiderte ernst und mit einem leichten Anflug von Traurigkeit: „Ich bin weit davon entfernt, mich so sicher zu fühlen, als Sie annehmen; es wird mich im Gegenteil gar nicht überraschen, wenn ich der Koalition unterliege, die sich gegen mich gebildet hat und die mir schließlich doch hinterrücks ein Bein stellen wird. Ich bin, um ein militärisches Gleichnis zu brauchen, ein verlorener Posten in Feindesland, und habe mich schon gefragt, ob es mir gar so sehr verübelt werden könnte, wenn ich den Posten aufgäbe, auf den mich der Zufall gestellt hat. Es würde mir gerade in diesen Herbsttagen leicht werden, auf und davon zu gehen; der Zugvogel in mir regt jetzt, wo die letzten Geschwader unserer Sommervögel sich lärmend zum Aufbruch rüsten, fast sehnsüchtig die Schwingen, und selbst wenn ich ungern ginge, würde ich mich mit dem welken Laube trösten, das jeder Windhauch von den Aesten streift, wie ich mich mit ihm trösten würde, müßte ich aus dem Leben scheiden.“

Er hatte es ohne jede Affektation gesagt, mehr zu sich selbst, als zu der anmutigen Frau, die ihren Arm unwillkürlich fester auf den seinen legte; er fühlte, wie jeder Finger ihrer Hand ein mildes Feuer ausströmte, das ihm durch alle Adern floß, und als er sie ansah, überraschte ihn ein Ausdruck in ihrem Gesicht, den er noch nicht kannte. Es lag urplötzlich etwas Mädchenhaftes in ihrem Wesen, etwas Sanftes, Anschmiegendes, Schüchternes und fast Demütiges, und sie war ihm in diesem Moment ungleich gefährlicher, als je zuvor.

Ob sie eine Ahnung davon hatte? Es war, als verschleiere sich ihr Blick von einer im Auge zerdrückten Thräne, als sie leise, ein wenig traurig und mit beinahe stockender Stimme sagte:

„Wird Ihnen das Scheiden von hier so leicht? Ich hatte geglaubt, die Trennung würde Ihnen aus mehr als einem Grunde schwerer fallen, und dieser resignierte Ton gefällt mir nicht an Ihnen, weil ich größere Tiefe und Wärme des Gefühls — für Orte und Menschen — bei Ihnen voraussetzte. Aber ich hätte mir sagen können, daß Sie das anscheinend unvermeidliche Gebrechen aller Poeten teilen, sich in der Praxis von all den zarten und schönen Empfindungen zu emancipieren, die ihren Dichtungen Reiz und Zauber verleihen.“

„Vielleicht thun Sie mir doch sehr unrecht, vielleicht bin ich viel mehr Mensch als Poet, und vielleicht sind es gerade rein menschliche Empfindungen, die nur das Scheiden leichter machen, als dies ohnedem der Fall sein würde. Ich habe hier schmerzliche Erfahrungen zu machen gehabt und bin in Verwicklungen geraten, die befriedigend zu lösen ich keine Hoffnung habe. Und ist es nicht besser, ich gehe, bevor mir das Herz wund geworden ist und ich die Frische und Elasticität der Seele eingebüßt habe? Bisher habe ich den Kopf oben behalten, aber ich bin aus weichem

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_150.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)