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langsam auf dem schmalen Waldpfad auf und ab, die Hände auf dem Rücken ineinander gelegt; sein Blick haftete am Boden und an dem rostbraunen, welken Laub, das zollhoch die Erde bedeckte und das sein Fuß vor sich herschob. Aber seine Gedanken waren nicht bei der schönen Frau, die ihn an dieses einsame Plätzchen bestellt hatte, sondern bei der Strophe, die den Schluß eines an Martha gerichteten Gedichts bildete und die ihm schon den ganzen Tag durch den Sinn gegangen war; er hatte sie schon wiederholt umgegossen, aber noch immer befriedigte sie ihn noch nicht recht, und er hatte sich auf die Stunde des einsamen Wartens im Walde vertröstet, auf die er vorbereitet war — Frauen sind ja niemals pünktlich. Nur zuweilen warf er beim Vorübergehen an der Parkpforte einen flüchtigen und zerstreuten Blick in die kiesbestreuten Gänge und wendete befriedigt den Kopf wieder weg, wenn er diese Gänge noch einsam im ersten Dämmern des Abends liegen sah. Die stille Stunde erwies sich ihm günstig; er fand für seinen Gedanken eine Form, die ihn vollkommen befriedigte, und kritzelte sie, sich an den Stamm einer alten Buche lehnend, mit Bleistift in stenographischen Zeichen auf ein Blatt seines Notizbuchs. Die Verse lauteten:

Auf Klippen und Dünen, in Schlick und in Sand,
An der Wimper der Woge spritzenden Schaum,
Sah ich im Geiste mein Heimatland,
Das buchengrüne, in wachem Traum;
Wenn im Sturme die Möve ängstlich schrie
Und des Leuchtturms Licht durch den Nebel glomm.
Kam fernher geweht eine Melodie,
Eine liebe, vertraute, und lockte mich: „Komm!

Nun bin ich daheim, doch mein Herz ist schwer.
In den Domen des heimischen Waldes träumt
Meine kranke Seele vom ewigen Meer,
Das zu weißem Geflock an der Klippe zerschäumt.
Es rauschen die Kronen; die Grasmücke singt
Durch die heimliche Stille, doch mir ist weh,
Und lausch ich den Stimmen des Waldes, so klingt
Durch sie alle hindurch ein mahnendes: „Geh!

Hier wird mir bange, hier ist es schwül.
Ueber grüne Wogen mit Kämmen von Schnee
Weht drüben erfrischend der Wind und kühl
Und die Möve kreischt und es donnert die See.
Dort war ich ganz und aus einem Guß,
Hier bin ich zerrissen, krank und geteilt;
Meine Lippe schmachtet nach einem Kuß —
Ob Meer und Wind mir die Seele heilt?

Kaum hatte er das Buch wieder in die Brusttasche geschoben, als er auch die eiserne Parkpforte leise klirren hörte, und als er den Blick erhob, sah er sich Frau v. Larisch gegenüber.

„Sie wußten, daß Sie mich erwarteten?“ fragte sie mit einer leichten Befangenheit, die sie besser kleidete, als alle kecke Sicherheit, die sie bei früheren Anlässen entwickelt hatte.

Wolfgang nickte leicht mit dem Kopfe. „Ich konnte wohl nicht im

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_148.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)