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sie an das köstlich verblüffte Gesicht des Vaters bei der Eröffnung dachte, die sie ihm selber machen würde. Unter dem Einfluß dieser ausschweifenden Träumerei schrieb sie ihren Brief, als sie ihn aber tief aufatmend überlas, erschrak sie über das Unerhörte ihres Schritts, und wenn ihr auch der Gedanke, Wolfgang könne sie verschmähen, weltenfern lag und ihr gar nicht kommen konnte, so knitterten und knäulten die kleinen Hände das unvorsichtige, verräterische Blatt doch heftig zusammen und sie beschloß, einen anderen Brief zu schreiben, einen Brief, der so steif und förmlich, so gemessen und kalt ausfiel, daß er ihr beim Ueberlesen geradezu abscheulich vorkam und daß sie ihn in kurz und kleine Stückchen riß. Also ein dritter Entwurf! Auch er befriedigte sie nicht und schien ihr auf der einen Seite schon zu viel zu verraten und auf der anderen keine genügende Ermutigung für Wolfgang sein; sie fand, es sei doch eigentlich schwer, einen Brief zu schreiben, der dazu auffordern mußte, ganz bestimmte Dinge zwischen den Zeilen zu lesen, und am liebsten hätte sie einen vierten Entwurf gemacht. Aber es war schon zu spät, ihre Lider sanken schwer über die Augen, sie mußte ja auch den Entwurf, in dem sie so gewaltig herum korrigiert hatte, noch abschreiben und so behielt sie diesen dritten Entwurf bei und fügte nur nach einigem Besinnen die Nachschrift hinzu und die Buchstaben I. S. D. N. (das Geburtstagssonett hatte mit den Worten begonnen: „Ich sah dich nah'n — dann warf sie sich, fast erschöpft von der ungewohnten Anstrengung, auf ihr Lager und fragte sich noch im Einschlafen: „Werde ich in acht Tagen Braut sein? Was würden die Herren Offiziere zu der unerwarteten Botschaft sagen? Und sie lächelte und schlief mit dem Gedanken an die Toilette ein, in der sie ihre Brautvisiten machen würde. —

Sie war auch in vierzehn Tagen noch nicht Braut, denn Wolfgang gab weder eine direkte noch eine indirekte Antwort. Sie war einige Tage hindurch sehr geneigt, dem Undankbaren zu zürnen, der sich so vieler Güte nicht würdig zu zeigen wußte, aber bald kamen ihr andere Gedanken. „Nein, diese Männer,“ sagte sie sich halb unmutig, halb belustigt — „das Feinste und Zarteste in der weiblichen Natur bleibt ihnen doch ewig unverständlich und ihrem groben Wahrnehmungsvermögen kann man doch nur mit groben Mitteln beikommen. Der leise Duft einer echt jungfräulichen Natur ist zu unkörperlich für sie und höchstens in aristokratischen Familien und in wirklich vornehmen Kreisen bildet sich das Feingefühl aus, das für einen solchen Duft empfänglich ist. Woher soll am Ende dieser Herr Hammer auch ein solches Feingefühl und Verständnis haben? er ist doch aus gewöhnlicher Familie und dann — seine Verzagtheit und Schüchternheit haben doch auch etwas Hübsches. Er wagt es nicht, den Blick zu mir zu erheben und glaubt gewiß, er sei höchstens berechtigt, mich im stillen zu verehren, mich zu seiner Muse zu machen und mir seine Gedichte zu widmen, müsse sich aber im übrigen, zu hoffnungsloser Liebe verurteilt, in achtungsvoller Entfernung halten, immer fürchtend, durch ein rauhes Wort den poetischen Zauber zu brechen und sich streng und vorwurfsvoll in seine Schranken zurückgewiesen zu

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_146.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)