Seite:Ein verlorener Posten 142.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

als eine Erleichterung, als der eitle Schulmonarch sich erhob und zum Aufbruch rüstete. Er hielt es für geraten, Martha, die ihm in unverkennbar ablehnender Haltung gegenüberstand, wenn möglich zu begütigen, und so sagte er denn in fast schmeichelndem Tone:

„Ich hoffe, Fräulein Hoyer, die kleine Meinungsverschiedenheit, die heute zu meinem innigsten Leidwesen zwischen uns zu Tage getreten ist, wird nicht im stande sein, mir Ihr Wohlwollen zu entziehen; ich würde dies unaussprechlich bedauern und hoffe auf eure nachsichtige Beurteilung meiner Kühnheit, die vielleicht zu weit ging; hätte ich ahnen können, daß der Gegenstand unseres Gesprächs das Glück hat, von Ihnen so wohlwollend beurteilt zu werden, so würde ich selbstverständlich unterlassen haben, meine vielleicht sehr irrigen Vermutungen über denselben so unverhohlen zu äußern.“

„Es bedarf der Entschuldigung nicht, Herr Rektor; Sie haben mir, wenn auch unabsichtlich, einen namhaften Dienst geleistet, indem Sie mir Aufschluß über Verhältnisse gaben, die mich interessieren, die man aber beharrlich der Kenntnis der Frauen entzieht.“

Uebrigens hatte der Rektor, der sich auf dem Heimweg ziemlich heftige Vorwürfe über sein Ungeschick machte, niemanden durch seine Abbitte und den demütigen Ton derselben getäuscht. Die Damen hatten sämtlich das Gefühl, daß dieses hart an einen Wortwechsel streifende Gespräch, dem unverkennbaren Haß des hochmütigen Pädagogen nur neue Nahrung zugeführt habe, und daß Wolfgang die Folgen bald genug empfinden werde. Es hatte etwas wie Tücke und Bosheit in den Augen des sich aus sehr materiellen Rücksichten Demütigenden gefunkelt, und für dergleichen Symptome ist das Auge einer Frau, namentlich dann, wenn ihre Sympathien und Antipathien ins Spiel kommen, wunderbar hellsichtig. Leontine sowohl als Emmy, wie wenig die letztere auch im Grunde von dem ganzen Streit begriffen hatte, hatten ganz insgeheim denselben Gedanken: „Er muß gewarnt werden, damit er sich durch Vorsicht schützen kann; der Rektor und Weinlich dürfen ihr Spiel nicht gewinnen. Aber wie? Marthas Entschiedenheit hatte ihnen imponiert und sie mit einer gewissen Bewunderung erfüllt, gerade weil sie eines solchen offenen Frontmachens unfähig gewesen wären, aber würde Martha denselben klugen und praktischen Gedanken haben? Er kam ihr allerdings, aber nur, um mit einem stolzen Lächeln zurückgewiesen zu werden. Ihre Bewunderung Wolfgangs war eine viel zu tiefe und echte, als daß sie sich mit der Idee, ihn zu warnen, vertragen hätte. Er stand ihr viel zu hoch, als daß sie hätte fürchten können, jenes edle Paar werde etwas gegen ihn ausrichten. Sie mochten ihr Schlimmstes, ihr Aeußerstes thun, — war er ihnen nicht zehnfach überlegen, würde er nicht alle ihre Netze wie Spinnengewebe zerreißen, alle ihre Pläne durchkreuzen, auch ohne ihre Hilfe, auch ohne ihre Warnung? Er war keiner von den Männern, die eines so kleinlichen Beistandes von Frauenhand bedürfen, und sie zagte im voraus vor dem erstaunten, halb stolzen, halb mitleidigen Blick, mit dem er ihr sagen würde: „Ich danke Ihnen, Sie

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_142.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)