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Abends trübe, drückende Schwüle mochten wohl eine unbestimmte Niedergeschlagenheit in ihm erzeugt haben, denn als die gute Frau Meiling mit Licht und dem frugalen Abendbrot kam, gab er auf die Fragen der plauderlustigen Alten so knappe und kühle Antworten, daß sie bald einsah, er sei weder aufgelegt, sich mit ihr zu unterhalten, noch sie (mit dem ernsthaftesten Gesicht von der Welt) ein wenig zu necken und zu schrauben. Sie wußte bereits, daß es unter solchen Verhältnissen das Geratenste war, ihn allein zu lassen; es war ein „eigener“ Herr, dieser ihr Mietsmann, und gar nicht wie andere junge Leute, wie sie ihren Nachbarinnen schon wiederholt mit einem leisen Wiegen des Kopfes und doch auch mit einem etwas stolzen Lächeln versichert hatte, aber so gut und freundlich, daß man gar nicht anders konnte, als sich in ihn zu schicken und ihm alles an den Augen abzusehen. Er hatte eine Art, den Leuten selbst ihnen Widriges erträglich zu machen, die unwiderstehlich war, eine sanfte, fast bittende, ein wenig humoristische und doch zugleich ganz bestimmte Art, die Frau Meiling in ihrem Leben noch nicht aufgestoßen war. Daß sie ihm über nichts grollen konnte, hatte sie gleich am Tage seines Einzuges bei ihr erfahren. Als er auf der Suche nach einer ihm zusagenden Wohnung eines Abends in ihr Haus getreten war und sie gefragt hatte, ob im oberen Stock und zwar auf der Rückseite, von wo man die Berge stets vor Augen habe, nicht ein Zimmer zu haben sei, vielleicht auch ein kleines Schlafgemach, aber beileibe kein Alkoven — er brauche Luft und Licht auch im Schlafe —, hatte sie zwar zugeben müssen, daß sie recht wohl zwei Zimmerchen abgeben könne, aber sie mochte sich, da sie keine Magd hatte und kinderlos war und von den Zinsen des in vieljähriger Ehe Erübrigten bequem leben konnte, auf ihre alten Tage keine solche Last mehr machen, und hatte also nach Aeußerung vielfacher Bedenken und Skrupel und nach langem Ueberlegen und Zaudern schließlich doch abgelehnt. Aber es war ihr sauer geworden; der hübsche, stattliche junge Mann mit dem offenen Gesicht, den guten Augen und der einschmeichelnden Stimme, der ihr versicherte, daß er fast gar keine Bedienung beanspruche und daß sie ihn nicht viel merken werde, war ihr die ganze Nacht im Kopfe herumgegangen, das tief in der weiblichen Natur begründete Verlangen, jemanden zu haben, für den man sorgen und dem man das Dasein unmerklich und geräuschlos behaglicher machen kann, erwachte aus jahrelangem Schlummer und ein zufriedenes, verjüngendes Lächeln glitt über das alte Gesicht, als sie sich vorstellte, wie hübsch und behaglich der feine, junge Herr es bei ihr haben solle. Am nächsten Morgen in aller Frühe schickte sie nach dem Gasthof, in dem Wolfgang sich inzwischen einquartiert hatte, und ließ ihn bitten, nochmals zu ihr zu kommen, und sie wunderte sich selbst darüber, wie rasch und leicht sie über alles einig wurden. Gleich am nächsten Tage wollte er von seiner zukünftigen Wohnung Besitz ergreifen, und als sie ihm erschrocken vorstellte, daß doch erst alles in Stand gesetzt werden müsse, klopfte er sie lächelnd auf die Schulter und sagte; „Lassen Sie uns das zusammen besorgen; wir

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_14.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)