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sondern ich würde die Sozialdemokratie achten und ihre Entwicklung mit Teilnahme verfolgen, weil Herr Hammer sich ihr angeschlossen hat. Ich habe kein Urteil über die Partei, die ich bisher nur von ihren Feinden, und immer nur oberflächlich schildern hörte, wenn aber ein Mann von dem Charakter, dem Wissen, der Erfahrung und den Gemütseigenschaften Herrn Hammers Sozialdemokrat ist, so kann die Sozialdemokratie unmöglich das sein, als was ich sie schildern hörte.“

Fräulein Emmy sagte lebhaft: „Du hast gewiß recht, Martha; wenn ich jetzt Papas Ansichten habe, so werde ich ebenso gewiß späterhin die Ansichten meines Mannes zu den meinigen machen; ich glaube, das ist die Pflicht einer Frau und das ist selbstverständlich. Nicht wahr, Frau Rektor?“

Es fiel niemandem ein, die Konsequenzen zu ziehen, welche diese Parallele der Kleinen so nahe legte; der Rektor aber erwiderte mit seinem vollen Selbstbewußtsein und mit viel Aplomb:

„Das ist allerdings streng weiblich gedacht, meine Damen. Denken gnädige Frau ebenso?“

Leontine zauderte einen Moment, dann entgegnete sie: „Ich weiß nicht so recht, es ist aber möglich, wahrscheinlich sogar, daß ich mich ebenfalls den Ansichten meines Gatten accomodieren würde, wie dies ja auch die Frau Rektor vorhin durch ihr Kopfnicken bejahte.“

Der Rektor hatte seinen letzten Trumpf noch nicht ausgespielt. Er hob wieder an:

„Fräulein Hoyer wird sich vielleicht in der Praxis von ihrer Theorie lossagen, wenn sie erfahren hat, daß jeder Fortschritt jener — in meinen Augen — verdammenswerten Partei eine direkte Schädigung ihrer Interessen ist.“

Martha schüttelte energisch den Kopf. „Wohl kaum, Herr Rektor. Muß man der Wahrheit entgegen sein, sobald sie uns Schaden bringt? Das ist nicht sehr männlich gedacht.“

„Sie erinnern sich zweifelsohne noch des Krawalls in diesem Frühjahr, bei dem Herr Hammer eine noch nicht vollständig aufgeklärte Rolle spielte — eine sehr zweifelhafte, sehr bedenkliche Rolle sogar!?“

„Ich muß Ihnen nochmals widersprechen, Herr Rektor. Für mich ist diese Rolle eine vollständig aufgeklärte. Ein Zufall hat mir vor einigen Wochen die Kenntnis aller Nebenumstände verschafft und ich glaube, auch Sie würden nicht umhin können, wären Sie in die geheime Geschichte dieses Vormittags eingeweiht wie ich, das Benehmen des Herrn Hammer bei dieser Gelegenheit über jeden Tadel und über jeden Verdacht erhaben, wenn nicht geradezu bewunderungswürdig zu finden.“

Sie hatte das „bewunderungswürdig“ so betont, daß selbst der Rektor stutzig ward.

„Ich wäre begierig, diese gewiß höchst interessanten Nebenumstände kennen zu lernen, indessen kann ja dieser Punkt immerhin in der Schwebe gelassen werden. Vermutlich steht Ihnen aber für ein anderes Vorkommnis, das in die Zeit Ihrer Abwesenheit fällt, keine derartige intimere

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_139.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)