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Ihnen dabei einen kleinen Streich gespielt hat. Wenn eine Frau, die sich der vollsten Unparteilichkeit rühmen darf, dagegen reagiert, so dürfen Sie ihr das nicht übelnehmen.“

Der Rektor hielt es für angezeigt, die ihm auf den Lippen schwebende ironische Frage nach dem Namen des Gewährsmanns, auf den Martha sich berief und der ihr so viel Vertrauen einflößte, zu unterdrücken; er glaubte diesen Gewährsmann sehr genau zu kennen. Es schien ihm überdies, als habe er ein unfehlbares Mittel in den Händen, Martha ihre Parteilichkeit für Wolfgang bereuen zu lassen, und er erwiderte also, mit einem Lächeln, das er für sarkastisch hielt, das aber nur impertinent war:

„Ich bin weit davon entfernt, gnädige Frau, zu vergessen, daß meine Gegnerin eine Dame ist, und Damen pflegen bei Würdigung eines Mannes von Gesichtspunkten auszugehen, die für uns irrelevant sind, und Erwägungen Gehör zu geben, die wir nicht zu Rate ziehen. Ich erlaube mir nur, an Fräulein Hoyer die Frage zu richten, ob sie auch damit einverstanden ist, daß Herr Hammer und ein ihm befreundeter Chemiker im Bildungsverein ganz offen und unverblümt den Materialismus und Atheismus predigen und bemüht sind, in diesen armen Menschen den Glauben ihrer Väter zu zerstören und zu verflüchtigen?“

„Lassen Sie meine Antwort eine indirekte sein. Ich würde etwas darum geben, diese Vorträge mit anhören und mir so die Antwort auf mancherlei Fragen holen zu können, die in mir aufgetaucht sind und die mich zuweilen förmlich gequält haben. Und wie kommt es, daß Sie plötzlich so besorgt um das Seelenheil jener Leute sind? Wenn ich mich recht erinnere, habe ich öfters Gelegenheit gehabt, aus Ihrem Munde recht freigeistige Aeußerungen zu hören, Aeußerungen, die gerade nicht nach positiver Religion und orthodoxem Luthertum klangen. Ist bei Ihnen eine Bekehrung eingetreten, Herr Rektor?“

„Gewiß nicht, ich stehe dem Protestantenverein ziemlich nahe und würde kaum zaudern, mich ihm anzuschließen, legte nicht die altehrwürdige Frömmigkeit unseres kaiserlichen Herrn jedem Patrioten eine gewisse Reserve auf. Uebrigens haben meine persönlichen Ansichten mit der Frage so gut wie nichts zu thun. Der gebildete Teil der Nation mag ja mit heimlichem Lächeln und einem Achselzucken auf den groben Köhlerglauben der Masse herabblicken, aber er soll sich hüten, sich öffentlich zu seiner freieren Auffassung zu bekennen, und es ist offenbarer Frevel, wenn er im Volke die religiösen Stützen untergräbt, wenn er es unternimmt, die Aufklärung, die sein Vorrecht ist, in die Tiefe zu tragen. Wissen Sie nicht, was unser unsterblicher Schiller gesagt hat:

Weh' denen, die den Ewigblinden
Des Lichtes Himmelsfackel leih'n!
Sie leuchtet nicht, sie kann nur zünden,
Und äschert Städt' und Länder ein.

Martha sah den Eifernden mit einem Blicke an, der ihm hätte verraten können, daß er die Achtung dieses Mädchens nicht mehr besaß, wenn er sie je besessen. „Ich kenne Ihre Theorie der Aufklärung für

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 137. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_137.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)