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als dieser alte Herr. Ist das nicht revoltierend, meine Damen?“

Er fuhr, als er diesen Trumpf ausgespielt hatte, nach einer kurzen Kunstpause noch lebhafter fort:

„Ganz im Einklang damit steht es, daß er, als bei dem Stiftungsfest des Turnvereins ein Hoch auf den Reichskanzler ausgebracht ward, sich weder erhob, noch mit anstieß, und das berührte um so peinlicher und fataler, als eine ganze Anzahl Leute von der Feuerwehr, die sich daran gewöhnt haben, immer auf ihn zu sehen und in allem nach ihm sich zu richten, in demonstrativster Weise das Gleiche thaten. Dieser üble und geradezu seelenmörderische Einfluß auf die armen, einfachen Menschen, denen er ihr Bestes und Heiligstes stiehlt, reicht hin, ihn gefährlich zu machen.“

Martha fiel dem Rektor ins Mort. „Ich glaube, Herr Rektor, die Leute wählen durchaus noch nicht das schlechteste Teil, wenn sie dem Einfluß Herrn Hammers sich überlassen. Dieser Einfluß wird sich jedenfalls nicht bloß in dieser, sondern in den verschiedensten Richtungen geltend machen, und selbst der von Ihnen angeführte politische Einfluß will mir durchaus nicht so seelenmörderisch erscheinen. Ich würde auch nicht stundenweit fahren, um den Kaiser zu sehen, und der Kanzler vollends —“

„Sie entschuldigen, mein Fräulein!“ unterbrach der Rektor, der anfing, zu fürchten, daß er eine politische Ketzerei zu hören bekommen werde, die sich beim besten Willen nicht vertuschen und beschönigen ließe. „Eine Dame hat selbstverständlich das Recht, in politischen Dingen anders zu fühlen, als ein Mann, und wenn sie voll holder Sinngkeit in ihrem engen weiblichen Kreise bleibt, statt Unteil an den großen Fragen der Nation und an ihren großen Männern zu nehmen, so kann sie niemand deshalb tadeln; ich bedaure sie höchstens darum, daß sie die hohe Flut patriotischer Begeisterung und nationalen Stolzes nicht mitempfinden kann, die in so großer, herrlicher Zeit des Mannes Brust durchwogt. Vom Manne aber darf und muß ich fordern, daß sein Auge flammt, wenn die großen Heldennamen genannt werden, und wenn er nicht mit uns verehren kann oder will, so trägt er ein Kainsmal an seiner Stirn.“

Martha antwortete nicht und bereute diesem Phrasenschwall gegenüber bereits, sich überhaupt eine Erwiderung haben entreißen zu lassen. Frau v. Larisch dagegen meinte mit einem unverkennbaren Anflug von Spott, der dem Rektor wiederum entging:

„Trügt der Bedauernswerte das unheimlich flammende Kainsmal bloß deshalb, weil er keine Lust hatte, eine kleine Reise zu machen, um den Kaiser zu sehen und weil er nicht auf des Kanzlers Wohl anstieß?“

„O nein, gnädige Frau, keineswegs bloß deshalb. In ganz ähnlicher Weise hat er, als es sich um die Beteiligung der Feuerwehr am Festzug der Sedanfeier handelte, es positiv abgelehnt, die Leute dazu zu kommandieren; er hat, wie wir ganz genau wissen, in einer vertraulichen Besprechung der Führer erklärt, daß es jedem freistehe, sich zu beteiligen, daß er für seine Person jedoch fehlen werde, und so hat er denn einfach

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_134.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)