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immer ein freudiges Gefühl, mit dem man nach mehrmonatlicher Abwesenheit die Heimatberge und die Türme der Vaterstadt begrüßt, und selbst Emmy empfand dasselbe und gab ihm in ihrer kindlich lebhaften Weise Ausdruck; Martha hatte sich in die Kissen zurückgelehnt und legte die Rechte vors Gesicht, als blende sie die Abendsonne, — sie fühlte, daß ihr die Augen feucht wurden, und das sollte niemand sehen.

Herr Reischach war auf dem Perron, als sie ankamen; in überwallender Freude schloß er sein Töchterlein, das wie ein Heckenröschen blühte, in die Arme und versuchte, Frau v. Larisch, die seine etwas ungeschickte Galanterie stets mit gutem Humor ablehnte, ein Kompliment über ihr Aussehen zu machen. Sie hatte sich allerdings fast verjüngt, seit die von ihr gesuchte Begegnung in Pyrmont das von ihr gewünschte und ihrer Eitelkeit schmeichelnde Resultat ergeben hatte. Der junge Schriftsteller war, als er ihr unvorbereitet in der Brunnenallee begegnete, jäh bis in die Schläfen errötet und dann ebenso plötzlich bleich geworden; er war, als sie ihn später in Gesellschaft traf und ihn „mit holder Unbefangenheit“ freundlich ansprach, verlegen, einsilbig und verwirrt gewesen; als sie später einmal plötzlich zur Seite sah, hatte sie entdeckt, daß sein Blick mit einem nicht mißzuverstehenden Ausdruck auf ihren Zügen ruhte, und er hatte, wie auf einer unerlaubten Razzia ertappt, beschämt die Augen niedergeschlagen und sich abgewendet, um seine Befangenheit zu verbergen. Ab und zu war sie versucht gewesen, sich noch direktere Beweise dafür zu verschaffen, daß seine Schwäche für sie die alte sei, und sie hatte keinen Augenblick bezweifelt, daß dies sehr leicht sein würde: aber dann war ihr wieder Wolfgang eingefallen, sie hatte unwillkürlich Vergleiche angestellt und endlich mit einem achselzuckenden: „Es lohnt sich wirklich nicht!“ beschlossen, sich nicht weiter um den einstigen „Anbeter“ zu bekümmern.

Wir finden die Damen einige Tage nach ihrer Rückkehr im Salon und Emmy erzählt Frau Rektor Storck unermüdlich von ihrer Reise und hebt besonders die zahlreichen kleinen komischen Episoden hervor, die sich ihrer Erinnerung am tiefsten eingeprägt haben. Frau Leontine hatte den Herrn Rektor auf sich genommen; ohne irgendwie zu radikalen Ketzereien zu neigen, findet sie die Hyperloyalität des Rektors, seine abgöttische Bewunderung für den Fürsten Reichskanzler, seine teutonische Verachtung für alles Französische, sein hochtrabendes Prahlen mit des neuen Reiches Macht und Herrlichkeit sehr komisch, und das stark satirische Aederchen in ihr giebt ihr eine Reihe von feinen Bemerkungen ein, deren ironischer Nebensinn dem Herrn Rektor bei seiner ehrlichen Beschränktheit und seinem überstiegenen Dünkel vollständig entgeht.

Martha hört, mit einer feinen Handarbeit beschäftigt, schweigend zu; es scheint fast, als leihe sie diesem von Leontine mit soviel feiner Bosheit geführten Geplänkel, das für diese so amüsant ist und das sie vollkommen durchschaut, nur ein halbes Ohr und als sei die plumpe, ahnungslose Zuversicht, mit der der Rektor in jede ihm gelegte Falle tappt, für sie bereits etwas so Bekanntes, daß sie es langweilig finden darf.

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_131.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)