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Brust, und als sie daheim in ihrem Zimmer war, ruhte ihr Blick lange und nachdenklich auf der eigenartig-schönen Blume. Ihre Lippen zitterten, als sie leise zu sich selber sagte: „Wie ihr Purpur in Braun übergeht, so wird alle Liebesinnigkeit in mir zur Trauer.“ Und dann streifte ihr kleiner Finger über die von der Sonne versengten, des Sonntagshauchs beraubten und wie verbranntes Papier zusammengerollten Ränder der untersten Kelchblätter, und als sie wehmütig-lächelnd sagen wollte: „Und siehst du, braune Rose, wir fangen beide an, zu verblühen, und wie er dich weggeworfen hat, weil du nicht mehr tadellos frisch und schön bist und morgen vielleicht farblos und ohne Duft wärst, so wirft er auch mich weg und mich wird niemand aufheben, wie die Kinder und ich es mit dir gethan!“ — da schossen ihr die Thränen heiß in die Augen und ein schwerer Tropfen rollte über ihre Wange und fiel auf die braune Rose. Dann aber, wie sich besinnend und der Schwäche sich schämend, sagte sie leise: „Armes, thörichtes Herz, willst du denn nie zur Ruhe kommen und ewig nach den Sternen greifen?“ Aber sie nahm doch ein kleines Couvert aus der Schreibmappe, schob die Rose sorgsam hinein und legte es dann in ihren Lenau. „Dem melancholischsten Dichter die melancholische Rose, — ich glaube, sie hätte ihn zu einem gedankenvollen Gedicht begeistert.“

Am nächsten Morgen aber schloß sie den Lenau mit der Rose in ihren Reisekoffer, und es war ihr, als nähme sie wenigstens einen Abschiedsgruß von Wolfgang mit in die Ferne, ein liebes Pfand der Versöhnung und ein Geschenk, das er ihr nicht verweigert haben würde, hätte sie ihn darum gebeten, — trotz alledem! —

Die Rückkehr der Damen hatte sich bis in den Herbst hinein verzögert. Die Verwandten Leontinens gingen von Pyrmont nach dem Rhein und Emmy setzte es durch, daß man sie auch dorthin begleite; sie fand es so verlockend, eine Weinlese mit durchzumachen, und Martha hatte ihr, wie sehr sie sich auch nach Hause sehnte, durch ihre Weigerung die Freude nicht verderben mögen. Sie hatte sich schweigend gefügt, aber es war ihr sehr schwer geworden und sie hatte überhaupt von der ganzen Reise wenig Genuß gehabt. Wie oft hatte sie in jungen Jahren von einer solchen Reise geträumt und geschwärmt, und jetzt, wo diese alten Träume ihre Erfüllung fanden, blieb ihr Gemüt kalt und leer, und ihr war, als sehe sie die wechselnden Landschaftsbilder durch graue, alles verschleiernde Gläser. Sie machte sich Vorwürfe über die Unempfindlichkeit und fragte sich dann wieder traurig, ob denn ihr Herz schon abzusterben beginne, leise lächeln. Hatte es doch nie in ihrem Leben so bang, so rastlos geschlagen. Sie hatte oft bitteres Heimweh nach M. und zählte die Tage bis zur Rückkehr; ungeduldig sehnte sie den endlich für die Abfahrt festgesetzten Tag herbei und zitterte vor einem neuen Verschiebungsbeschluß; als der Tag gekommen war, begrüßte sie ihn mit einem unsagbaren Gefühl der Erleichterung und der Beruhigung, und es lag wie ein Hauch von Heiterkeit über dem stillen, ernsten Gesicht, als sie in Köln von dem Hotel nach dem Bahnhof fuhren, Es ist

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_130.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)