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Begegnung mit der vollen, fast vertraulichen Herzlichkeit von einst entgegenkam. Jedoch gewann es fast den Anschein, als sei auf eine solche Begegnung gar nicht mehr zu hoffen. Wie oft sie auch, zaghaft und errötend und doch mit fast trotzigem Entschluß, in abendlicher Stille durch die kleine Pforte im Wildzaun aus dem Park in den Wald trat, um endlich langsam den Hohlweg entlang zu wandern, in dem sie Wolfgang kennen gelernt — nie begegnete sie ihm, und es blieb ihr bald kein Zweifel darüber, daß er ihr mit Geflissentlichkeit ausweiche. Hätte er nur das leiseste Bedürfnis empfunden, ihr eine Aufklärung über jenen verhängnisvollen Abend zu geben, so lag es doch für ihn so nahe, sie da zu suchen, wo sie ihm das erste Mal begegnet war, und daß er dieses Bedürfnis nicht empfand, zwang es sie nicht zu der Annahme, daß er innerlich mit ihr gebrochen habe? Es war ihr zuweilen, als müsse sie, wenn dem so war, fort, weit fort, und dann wieder sagte sie sich, daß sie sich in der Fremde doppelt einsam und verlassen fühlen und daß ein bitteres Heimweh sie nach den Stätten zurückzwingen würde, an denen ihr ein Schimmer von Glück gelächelt. Sie sollte bald in unerwarteter Weise auf die Probe gestellt werden. Leontine beschloß, die Familie ihres Schwagers, die nach Pyrmont zur Kur ging, zu begleiten, nicht, weil sie ebenfalls eine Kur durchzumachen beabsichtigte, sondern weil sie auf Umwegen erfahren hatte, daß sie in Pyrmont denjenigen von ihren einstigen Bewerbern treffen würde, der sie am meisten interessiert, den sie aber aus Rücksicht auf seine Jugend und seine Armut abgewiesen hatte. Aus dem bizarren jungen Manne mit dem halb sanften, halb düsteren Wesen war im Laufe der Jahre ein Novellist von Ruf geworden; er war seit Jahren verheiratet, wie man sagte, mit einer äußerst liebenswürdigen jungen Frau: sie wollte ihn in unverfänglicher Weise einmal wiedersehen und erproben, ob ihr Blick noch Macht über ihn habe oder ob er denselben unbewegt aushalte. Es fiel ihr nicht ein, ihn wieder an sich locken zu wollen, sie wollte sich nur die pikante Situation und die kleine Emotion einer unerwarteten Begegnung mit ihm verschaffen und ihn vielleicht einmal eine Stunde lang plaudernd sondieren; es würde ihr geschmeichelt haben, wenn er einen neuen Beleg für die Richtigkeit des alten „on revient tojours à ses premiers amours[1] geliefert hätte, wenn ihm auch in der Flucht der Jahre und an der Seite einer aus echter Neigung heimgeführten jungen Gattin die Empfänglichkeit für den eigentümlichen Reiz und Zauber gerade ihres Wesens nicht abhanden gekommen wäre.

Seit Fräulein Emmy wußte, daß Leontine mit nach Pyrmont ging, verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand von Tag zu Tag und der Hausarzt ward plötzlich ein vielbegehrter und unermüdlich konsultierter Mann. Der Kommerzienrat, der sich sehr schwer entschlossen haben würde, seinen Liebling von sich zu lassen, wurde durch die Sorge mürbe gemacht, und als der Arzt, der die eigentliche Ursache der fortwährenden Klagen des


  1. Man kommt immer auf seine erste Liebe zurück.
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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_127.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)