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Mund für einen Moment auf seine Rechte und war im nächsten Moment mit einem halberstickten: „Ich hätte auch mein Leben für Sie hingegeben!“ in der Dunkelheit verschwunden.

Wolfgang ging ziemlich nachdenklich heim; das Benehmen der Kleinen erschien ihm etwas befremdlich, und er hatte Mühe, sich dasselbe mit eine[m] fast hervorgestoßenen: „Jugendliche Exaltation!“ notdürftig zu erklären.

Es waren wohlthuend stille Wochen, die für Wolfgang auf all den Sturm und Drang jenes Tages folgten, und er erprobte an sich aufs neue die wunderbare Heilkraft der Natur. Zwischen den Bohnenstangen, an denen die Ranken Tag für Tag höher kletterten, und zwischen den Birken am Waldsaum, die ihre zarte Belaubung lose im Winde fluten ließen, schlief der Widerstreit zwischen seiner schmerzlichen Sehnsucht und den Vorstellungen seines Verstandes und seines Stolzes oft auf Tage ein und die wenn auch nur halb überwundene Leidenschaft fing an, sich in ferner Seele zur Poesie zu verklären. Er kam selten von seinen Abendspaziergängen heim, ohne ein paar Strophen — hatte sie ihm das Laub zugeflüstert, hatten die Zweige sie auf ihn niederfallen lassen? — aufzuschreiben, und es machte ihm ein wehmütiges Vergnügen, diese neu- erwachte Produktivität mit jenem eifersüchtigen Wachen über die Reinheit der Sprache und über die Einfachheit und Natürlichkeit des Ausdrucks auszunutzen, die für seine Poesie charakteristisch waren und ihm als der einzige Vorzug derselben erschienen. Vor einem haltlosen Versinken in diese lyrischen Stimmungen behütete ihn die Thätigkeit im Bildungsverein, die eine um so angestrengtere war, als der lange Alfred so ziemlich sein einziger Kampfgenosse war.

Martha Hoyer war weit davon entfernt, in diesen Wochen ebenfalls zu einer vergleichsweisen inneren Ruhe zu gelangen, dieselben waren vielmehr für sie in vieler Hinsicht an Aufregungen reich. Die häusliche Thätigkeit der Frauen und Mädchen läßt ihnen ja vollauf die Freiheit, ihren bittersüßen Gedanken nachzuhängen und dieselben erhalten von keiner Seite ein ausreichendes Gegengewicht an Gedanken, Empfindungen und Sorgen. Immer und immer wieder mußte sie an den Abend denken, der so beglückend begann und so traurig endete, an die Wandlung, die sich urplötzlich mit Wolfgang vollzog und die ihr als ein fast unheimliches Rätsel erschien. „Hatte sie diese Wandlung verschuldet? Und womit dann?“ Diese beiden Fragen beschäftigten sie unaufhörlich und doch konnte sie zu keiner endgültigen Beantwortung derselben gelangen und alles Sinnen und Grübeln blieb fruchtlos. Sie rekapitulierte im Geiste alle Phasen des Gesprächs, sie prüfte streng jede Antwort, die sie gegeben, jede Bemerkung, die sie gemacht, aber sie war unfähig, ein Wort zu finden, das sie für den grellen Umschwung hätte verantwortlich machen können. Sie wollte sich zuweilen einreden, daß Wolfgang wirklich nur müde und abgespannt gewesen sei, aber mit schmerzlich zuckender Lippe verwarf sie nur zu bald diese trügerische Illusion, die höchstens dann eine Aussicht hatte, Einfluß auf sie zu gewinnen, wenn ihr Wolfgang bei der nächsten

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_126.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2019)