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da ließ sich der Herr Kommerzienrat von dem dicken Bürgermeister, der wie ein erboster Truthahn kollerte, und von dem alten, häßlichen Kerl, dem ich seine Löcher im Kopfe von Herzen gönnte, beschwatzen und brach sein Versprechen. Das ärgerte mich und ich dachte mir, es könnte Ihnen lieb sein, wenn Sie davon erführen. Darum schlug ich, als sie den jüngeren Polizeidiener mit der Depesche wegschicken wollten, vor, mich gehen zu lassen, da ich doch gewiß leichter durchkäme; und sie ließen sich überzeugen und lobten mich und versprachen mir ein gutes Trinkgeld, und der alte, grauköpfige Mensch wollte mich sogar in die Backe kneipen, aber ich habe ihn tüchtig auf die Finger geschlagen und ihm gesagt, er sollte sich schämen; der Herr Kommerzienrat und der Bürgermeister lachten herzlich darüber. Ich lachte aber, als ich draußen war, am meisten, denn nun konnte ich Ihnen doch Nachricht geben. Das ist alles, und nun machen Sie ein solches Aufheben davon!“

Wolfgang konnte ein Lächeln nicht unterdrücken; er fragte:

„Also, wenn ich einen Bauch hätte, wie der Herr Bürgermeister, und so häßliche, graugrüne Augen, wie der alte Weinlich, und die beiden sähen ungefähr so wie ich aus, würden Sie nicht auf Ihren klugen Einfall gekommen sein?“

„Aber wie können Sie so etwas sagen? Das ist recht schlecht von Ihnen. Wären Sie denn nicht trotzdem immer noch Herr Hammer geblieben und hätte ich Ihnen nicht helfen müssen, wie ich nur konnte?“

Wolfgang nickte begütigend und freundlich, dann aber nahm seine Stimme einen ernsten Klang an und er setzte ihr die Lage, in der er sich befunden und den weiteren Verlauf des seltsamen Konflikts genau auseinander. Die Augen der Kleinen hingen an seinen Lippen, Röte und Blässe wechselten auf ihren Wangen, und als er geendet, gewahrte er am Saum ihrer Wimper ein paar blitzende Thränen, die sie rasch mit dem Handrücken wegwischte.

„Das war ja ganz schrecklich,“ sagte sie endlich, „und nun bin ich freilich recht froh, daß ich den guten Gedanken hatte. Davon hätte ich mir doch nichts träumen lassen.“

„Das glaube ich wohl, aber Sie müssen mir nun auch beweisen, daß Sie schweigen können. Erzählen Sie niemandem etwas von dem, was ich Ihnen anvertraut habe. Ihnen war ich die Aufklärung schuldig, aber ich möchte nicht, daß sonst jemand davon erführe — auch Ihre Damen nicht.“ Und nach einigem Zögern fügte er hinzu: „Wenn sie nicht geradezu und ausdrücklich danach fragen.“

Die Kleine sah ihn offen und voll an, als wolle sie ein Gelübde ablegen.

„Verlassen Sie sich auf mich; ich müßte doch die ärgste Plaudertasche sein, getraute ich mir nicht, Ihnen zu versprechen, daß kein Wort über meine Lippen kommen soll.“

„Brav, meine kleine Tapfere, und nun nehmen Sie meinen herzlichen Dank an, nicht wahr?“ Er hielt ihr die Hand hin; sie drückte dieselbe herzlich und dann beugte sie sich blitzschnell nieder, preßte ihren

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 125. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_125.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)