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glitt möglichst leicht über die ärgerlichen Vorkommnisse des Vormittags hinweg und berührte dieselben nicht weiter, und so kam es, daß am Theetisch bald von allem andern geplaudert ward, nur nicht von dem Konflikt, der so leicht den gefährlichsten Charakter hätte annehmen können. Nur Martha war nicht ganz frei von Zweifeln. Sie kannte alle Schwächen des Kommerzienrats, sie wußte, daß er stets zu Prahlereien geneigt war, daß er es mit der Wahrheit nicht allzu genau nahm und daß er es niemals über sich gewonnen hätte, zuzugeben, daß er einer Situation nicht gewachsen gewesen sei: sie mutmaßte stark, daß Wolfgang keineswegs die Rolle gespielt habe, die ihm sein Chef andichtete. Aber wo sollte sie sich erkundigen? Sie wußte nicht, wieviel die kleine Anna gesehen und gehört und noch weniger, daß sie gewissermaßen mit Wolfgang konspiriert hatte, und hätte sie es gewußt, es ist mehr als fraglich, ob sie es über sich gewonnen hätte, das junge Mädchen zu fragen. Es würde ihrem Feingefühl widerstrebt haben, durch eine private Erkundigung ein Interesse an den Tag zu legen, das wohl auch die kleine Anna sich richtig gedeutet haben würde, und sie hätte lieber alle Qual des Zweifels und der Ungewißheit schweigend getragen, als sich dazu herbeigelassen, einen Schritt zu thun, der für sie einen fatalen Beigeschmack hatte. Dafür, daß Anna ihrer natürlichen Mitteilungslust nicht die Zügel schießen ließ, sondern sich, da niemand sie ausforschte, über die Ereignisse des Vormittags ausschwieg, hatte Wolfgang gesorgt. Als er in der Abenddämmerung nach Hause ging, huschte aus dem Schatten der Häuser heraus eine Mädchengestalt an seine Seite und bemühte sich, mit ihm Schritt zu halten; er war aber so in seine Gedanken versunken, daß er sie nicht beachtete und daß erst ein leises, ein wenig neckisches: „Guten Abend, Herr Hammer!“ ihn erstaunt aufblicken ließ. Es war Anna, die eine leichte Befangenheit unter einem Lächeln zu verbergen strebte, aber sofort sicher ward, als Wolfgang ihr mit einem freundlichen:

„Sieh da, meine kleine, kluge, entschlossene Verbündete! Wie hübsch sich das trifft!“ die Hand entgegenstreckte. Sie fühlte sich fast gehoben von dem Händedruck Wolfgangs und erwiderte eifrig:

„So ganz zufällig ist es doch nicht, daß ich hier bin, aber ich mußte doch wissen, ob ich Ihnen mit meinem Zettel etwas nützen konnte, ob ich es recht gemacht habe und ob Sie mit mir zufrieden sind.“

„Wenn Sie wüßten, wieviel das Zettelchen wert war! Es hat wer weiß wie vielen Menschen das Leben gerettet und Sie haben mir einen Dienst geleistet, für den ich Zeit meines Lebens in Ihrer Schuld stehen werde. Wenn ich wüßte, womit ich Ihnen eine recht große Freude machen könnte!“ —

„Ach, Herr Hammer, Sie wissen doch, daß ich nie wieder gut machen kann, was Sie schon alles für mich gethan haben. Und was habe ich denn hier besonderes ausgeführt? Ich glaube, jedes andere Mädchen, das nicht ganz auf den Kopf gefallen ist, hätte dasselbe gethan. Ich hatte gehört, daß Sie nichts von den Husaren wissen wollten und daß man Ihnen eine Stunde Zeit gab. Sie waren kaum zur Thür hinaus,

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_124.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)