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die schriftliche Order erteilt, unverzüglich nach M. aufzubrechen und notfalls mit rücksichtsloser Energie einzuschreiten. So gab Fortuna dem Rittmeister, wie er meinte, eine Gelegenheit, sich durch Entschlossenheit und Thatkraft auszuzeichnen und sich dadurch die Anwartschaft auf die nächste freiwerdende Majorsstelle zu erwerben; viel wichtiger war es ihm freilich, daß ihn der Zufall dazu berief, der Retter des Kommerzienrats und seiner Damen zu werden. Er dachte sich das Wohnhaus von einer wütenden Menge umzingelt und bedroht, den Kommerzienrat in Verzweiflung, die Damen in Ohnmacht und Todesangst. Wenn er nun den Haufen durch einen ungestümen Reiterstoß auseinandersprengte[WS 1], und dann mit noch entblößter Klinge in den Salon trat, um zu melden, daß alle Gefahr beseitigt sei, mußte dann nicht für die Damen, auch für Martha Hoyer, eine Glorie der Ritterlichkeit sein nur noch dürftig behaartes Haupt umfließen, und wenn er in dieser Situation die Gunst des Augenblicks mit raschem Entschluß benutzte und seine Werbung anbrachte, sprach dann nicht die Wahrscheinlichkeit dafür, daß dieselbe angenommen ward? Er wußte es nicht anders, als daß nichts den Frauen so sehr imponierte, als männliche Tapferkeit, gerade wegen ihrer natürlichen Furchtsamkeit und ihres Schutzbedürfnisses, und so konnte leicht diese Vormittagsstunde seinem Geschick eine ganz andere Wendung geben. Nicht viel anders hatte der Premierlieutenant kalkuliert, nur daß er an den „kleinen hübschen Grasaffen Emmy“ dachte. Nun waren beide Luftschlösser zerronnen, aller Wahrscheinlichkeit nach infolge eines zielbewußten Eingreifens jenes Menschen, der die Uniform ausgezogen hatte, um den Comptoirsessel zu besteigen! Das war wohl geeignet, beide unwirsch zu machen, und als die Schwadron aufgesessen war, gaben sie nach einer ziemlich kühlen Verabschiedung von Herrn Reischach ihren Pferden die Sporen zu fühlen und sprengten davon.

Es war eine weitere Folge der vom Kommerzienrat adaptierten[WS 2] Taktik, daß er seinen Damen gegenüber, die er gegen Abend hatte zurückholen lassen und die nur die ersten Anfänge des Krawalls kannten, den ganzen Vorfall auf die leichte Achsel nahm und ihn als eins von den unangenehmen, aber leider unvermeidlichen Vorkommnissen schilderte, die im Leben eines Fabrikbesitzers die Dornen bilden, denen aber ein energischer und humaner Mann, namentlich wenn er von der Pike auf gedient hat, Gott sei Dank, stets gewachsen ist. Er spöttelte sogar ein wenig über den Beamteneifer des Bürgermeisters, der ohne sein Wissen nach Militär telegraphiert habe, das sehr überflüssig gewesen sei, und über Wolfgang, der seinen ehrlichen Willen, aber auch seinen Mangel an Autorität bei dem gemeinen Volke bewiesen habe, indem er zu intervenieren versuchte, und sowohl Frau v. Larisch als Emmy fanden ein solches Mißgeschick in diesem bestimmten Falle so natürlich, daß sie es keinen Moment in Zweifel zogen, während sie andererseits die Thatsache, daß auch Wolfgang sich in ein Unternehmen stürzen könne, dem er nicht gewachsen war, viel zu wenig nach ihrem Geschmack fanden, als daß sie Lust gehabt hätten, sich nach Details zu erkundigen. Auch der Kommerzienrat

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: auseindersprengte
  2. Vorlage: adoptierten
Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_123.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)