Seite:Ein verlorener Posten 122.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Empfinden ein keineswegs freundliches war. Der Kommerzienrat hatte sich nur entschlossen, seinem rebellischen Comptoirchef nachzugeben, weil er denselben für die nächsten Monate schlechterdings nicht entbehren konnte und weil er einen Streik der Arbeiter fürchtete, der bei der augenblicklichen Lage des Geschäfts mit großen Opfern für ihn verknüpft gewesen wäre. Er vergab es Wolfgang so leicht nicht, ihn durch eine „Komödie“ zum Nachgeben gezwungen zu haben, er war sogar entschlossen, bei erster Gelegenheit eine gründliche Rache zu nehmen und dem „arroganten“ jungen Manne die peinliche Viertelstunde mit Zinsen heimzuzahlen, aber die Klugheit riet ihm, sich davon zunächst nichts merken zu lassen und sich zu stellen, als nehme er die Sache leicht. Es war ihm vor allem darum zu thun, von seinem gefährdeten Ansehen soviel als möglich zu retten. So stellte er dem Bürgermeister und Weinlich die Nachgiebigkeit als eine durch schwerwiegende, geschäftliche Rücksichten bedingte dar, und ersterer, dessen gewichtigster Steuerzahler der Kommerzienrat war, und der, wo es sich um Sammlungen für wohlthätige und Verschönerungszwecke handelte, mit der guten Laune desselben rechnen mußte, hielt es nicht für geraten, irgend eine Rücksicht höher zu stellen, als die geschäftlichen Erwägungen des Herrn Reischach, während Weinlich seinem Chef ja nie widersprach, sondern sich mit geschmeidiger Schmiegsamkeit in seinen Willen fügte, mochte derselbe noch so wenig nach seinem Geschmack sein. Der Alte erriet wohl die eigentliche Ursache der befremdlichen Sinnesänderung seines Chefs, und diese Vermutung machte seinen Haß gegen Wolfgang nur noch giftiger; aber er sagte sich, daß der junge Mann diesen Sieg teuer bezahlen werde und den Boden unter seinen Füßen selbst unterhöhlt habe; sein Sturz war bei seiner gewiß noch öfter zu Tage tretenden Parteilichkeit für die Arbeiter nur eine Frage der Zeit, und auf ein halbes Jahr des Wartens kam es dem alten Weinlich wahrlich nicht an.

Infolge der von dem ebenso geriebenen als eitlen Kommerzienrat adaptierten[WS 1] Taktik wurden die Offiziere, als ihre Schwadron in den Fabrikhof eingeritten war, mit dem Ausdruck des lebhaftesten Bedauerns darüber empfangen, sie umsonst bemüht zu haben; die Haltung der Arbeiter sei zwar eine Zeitlang eine so bedrohliche gewesen, daß der Herr Bürgermeister es für unerläßlich gehalten habe, sich militärischer Hilfe zu versichern, doch habe die Unerschrockenheit, Energie und Unbeugsamkeit des Fabrikherrn ihnen dergestalt imponiert, daß sie ganz kleinlaut und eingeschüchtert das Feld geräumt hätten. Man setzte den Offizieren ein Frühstück vor, und die Mannschaften wurden mit Bier reguliert, aber nach kurzer Zeit schon ordnete der sichtlich verstimmte und enttäuschte Rittmeister den Wiederaufbruch an. Er hatte entschieden kein Glück und alle Mächte des Zufalls hatten sich feindlich gegen ihn verschworen. Die Depesche war dem Major, der in dem Hause wohnte, in welchem sich das Telegraphenbureau befand, ohne Verzug zu Händen gekommen und er hatte dem Rittmeister, der sich mit seiner Schwadron auf dem nach M. zu gelegenen Exerzierplätze befand, durch eine Ordonnanz

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: adoptierten
Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_122.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)