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Es war eine äußerst ceremonielle Verbeugung, mit welcher Herr Reischach den jungen Mann entließ; dennoch fühlte dieser, daß das Spiel bereits halb gewonnen sei. Wolfgang nahm sich nicht die Zeit, nach Hause zu gehen; er warf nur seinen als Regenreserve in der Comptoir-Garderobe hängenden leichten Ueberrock über die Schultern und vertauschte den Helm mit dem weichen Filzhut, und ohne auch nur nach dem Stadtoberhaupt und dem alten Weinlich zu fragen, schlug er den nächsten Weg nach der Chaussee nach W. ein. Er hatte dieselbe noch gar nicht lange verfolgt, als sein Blick eine in der Ferne aufsteigende Staubwolke gewahrte, die sich rasch näherte; sehr bald ließen sich die voraussprengenden Eclaireurs der Schwadron erkennen, und Wolfgang blieb gelassen stehen und ein heimliches, zufriedenes, ein ganz klein wenig spöttisches Lächeln irrte um seine Mundwinkel. Der im schärfsten Tempo herannahenden Schwadron war der Rittmeister weit voraus, und Wolfgang erkannte mit einem Gemisch von Mißbehagen und Humor seinen Rivalen, dem er nun schon zum zweitenmal eine Hoffnung zu Wasser machte. Der Rittmeister, dessen Blick an der Kirchturmspitze des Städtchens hing, und der im Geiste bereits zur Attacke auf tobende Arbeitermassen blasen ließ und nach derselben den überströmenden Dank des Kommerzienrats (und seiner Damen) für sein „ritterliches“ Einhauen, das sie aus den Händen des Pöbels befreite, entgegennahm, wäre achtlos an Wolfgang vorübergetrabt, hätte ihm dieser nicht zugerufen: „Herr Rittmeister, mäßigen Sie Ihre Eile — Sie kommen trotzdem früh genug, denn der Krawall ist vorüber und der ganze Konflikt in Güte beigelegt.“

War es für den Rittmeister schon eine höchst unerwünschte Ueberraschung, dem jungen Manne zu begegnen, dem gegenüber er zweimal eine so unglückliche Rolle gespielt hatte, so riß ihn die Eröffnung Wolfgangs aus allen Himmeln. Er brachte sein Pferd zum stehen, kommandierte „Halt!“ und fragte in fast gereiztem Tone:

„Haben Sie Auftrag, mir entgegenzugehen oder habe ich mich bei Ihnen für eine persönliche — Aufmerksamkeit zu bedanken?“

„Ich beanspruche keinen Dank, Herr Rittmeister, „obgleich es Ihnen ja ganz erwünscht sein kann, bei Ihrer Ankunft im Städtchen bereits von der veränderten Lage Kenntnis zu haben; Sie werden jetzt sicher eine langsamere Gangart wählen und einen etwas weniger martialischen und finsteren Gesichtsausdruck annehmen, wie er einem harmlosen Spazierritt angemessen ist.“

Inzwischen war auch der Premierlieutenant herangeritten und fragte scharf und in feindseligem Tone: „Und daß es bei dem bloßen Spazierritt bleibt, ist jedenfalls Ihr Werk?“

Wolfgang gab mit der unbefangensten Miene eine beißende Antwort. „Allerdings. Ich bin ein so großer Freund des Militärs und besonders der Husaren, daß mir sehr viel daran lag, einen Zusammenstoß zu verhüten, bei dem Sie sehr leicht durch einen Hagel von Pflastersteinen hätten zurückgeschlagen werden können. Und nicht wahr, Herr

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_120.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)