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sich danach. Ich habe mich selbst angeboten, weil sonst einer von den Polizisten sich fortgeschlichen hätte und dann hätte ich Ihnen keine Nachricht geben können. Ida.“

Wolfgang fühlte sich von einem Schwindel angewandelt; es wurde ihm momentan schwarz vor den Augen; aber die Erbitterung über den Wortbruch, den man gegen ihn begangen, gab ihm rasch die Besinnung wieder. Die fieberhafte Aufregung, in welche die Zeilen der Kleinen ihn geworfen hatten, wich rasch einer unheimlichen Kälte. Er bückte sich herab zu dem Knaben und küßte den Erstaunten auf den kirschroten Mund, fuhr ihm mit der Hand über den kurzgeschorenen Flachskopf, der so hübsch mit dem sonnengebräunten Gesicht kontrastierte, und sagte ihm: „Hab Dank, mein Junge, Du hast Deine Sache brav gemacht. Und morgen kommst Du einmal in meinen Garten und holst Dir Johannisbeeren — ja?“

Der Kleine wurde ganz rot vor Freude und Verlegenheit und nickte verschämt, während Wolfgang, der ihn schon wieder vergessen hatte, sich einen letzten, verzweifelten Entschluß abrang. „A corsaire corsaire et demi[1] knirschte er; — „und es soll nicht zum Hauen und Schießen kommen und sollte ich darüber zum Lügner werden und auf und davon gehen müssen Knall und Fall. Nun bitte ich euch nicht mehr — nun zwinge ich euch und stelle nachträglich die Kabinettsfrage.“

Jetzt, wo er den schlagendsten Beweis dafür in den Händen hatte, daß man im Comptoir keinen gütlichen Ausgleich wollte, jetzt, wo die Husaren von Minute zu Minute eintreffen konnten und jede verrinnende Sekunde seinem gereizten Chef, dem an seiner Amtswürde verletzten Bürgermeister und dem rachgierigen Weinlich ein erhöhtes Gefühl der Sicherheit geben und sie in ihrem starren Trotz bestärken mußte, durfte er keine Nachgiebigkeit mehr erwarten. Sich von seinen Vorstellungen noch irgend einen Erfolg zu versprechen und einen Sieg seiner Beredsamkeit über die Leidenschaften für möglich zu halten, die im Comptoir die Herrschaft an sich gerissen hatten, wäre ein geradezu kindlicher Optimismus gewesen. Andererseits mußte der Platz geräumt sein, bevor die Husaren anlangten; ihr Erscheinen konnte nur zur Folge haben, daß die Erbitterung der Arbeiter in hellen Flammen aufloderte, und goß eine schroffe Haltung des Anführers der Reiter noch Oel ins Feuer, was ja die Wahrscheinlichkeit für sich hatte, so war keine Macht der Erde im stande, ein Blutvergießen zu verhindern; warf er sich dann der Strömung entgegen, so schwemmte ihn eine Woge derselben mit fort oder schleuderte ihn spielend zur Seite. Hier gab es kein Zaudern; er kehrte um und suchte den jungen rheinischen Arbeiter auf, der, als er ihn gewahr ward, die lebhafte Beratung, deren Mittelpunkt er war. verließ und ihm rasch entgegentrat.

„Hat man sich doch noch anders besonnen? Es wird hohe Zeit.“

„Die Fabrikordnung wird einfach zurückgezogen, unter der einzigen


  1. Dem Seeräuber gegenüber anderthalber.
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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_117.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)