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habe sie nicht gerufen und würde sie auch nicht rufen — schlimm genug, wenn sie ungerufen kommen. Ich habe auch nicht gedroht, ich habe nur warnen wollen, und da ich zufälligerweise auch etwas vom Kriegshandwerk verstehe, gebe ich Ihnen gern zu, daß Sie die Husaren mit blutigen Köpfen heimschicken können; ich würde an Ihrer Stelle hierüber gleichfalls ohne allzugroße Sorge sein. Aber, gesetzt, Sie werfen den Angriff zurück, — was dann? Je später und nach je längerem Widerstande Sie niedergeworfen werden, desto größer wird schließlich die Niederlage, desto grausamer geht man gegen Sie vor — wollen Sie das?“

„Jetzt gebe ich Ihnen recht. Man würde es wohl auf einen zweiten Angriff mit verstärkten Kräften nicht ankommen lassen, der aber doch immer erst morgen erfolgen könnte. Indessen man hätte doch den Husaren eins ausgewischt und um die Fabrik und das Wohnhaus des Herrn Schlotjunkers würde es bis zum nächsten Tage sehr wunderlich aussehen.“

„Und die Rache des Siegers? Sie wissen, es giebt sehr drakonische Gesetzesbestimmungen, die der Willkür des Richters einen weiten Spielraum lassen.“

„Die Graviertesten fliehen, und wenn sie gefangen und zu Zuchthaus verurteilt werden, so ist das Unglück nicht allzu groß. Die Leute führen ja so schon ein Zuchthausdasein und haben verdammt wenig zu verlieren. Das bißchen Leben? Lieber Herr, gerade heute sind sie verteufelt geneigt, es in die Schanze zu schlagen, besonders die von ihren Kaplänen meisterhaft verhetzten katholischen Polen, die einen speciellen Span auf den lutherischen Essenbaron haben. Die setzen alles aufs Spiel, um einmal wenigstens Rache zu nehmen und ihren Groll auszutoben, und ich sagte Ihnen schon, daß wir sie gar nicht mehr in der Gewalt haben. Und im Stiche ließen wir sie schon deshalb nicht, weil sie den ersten Anstoß von uns bekommen haben. Wir haben eben auch so etwas wie Corpsgeist.“

Wolfgang gab sich keinen Illusionen mehr hin. Bis 12 Uhr hatten die Arbeiter dem Kommerzienrat Bedenkzeit gegeben — es ließ sich annehmen, daß sie bis dahin warten würden, aber dann ging man aller Wahrscheinlichkeit nach zum Sturm und zur Demolierung über, und waren diese erregten Leute einmal an der Arbeit, so wurde sie gründlich besorgt. Ein scharfer Ritt von einer halben Stunde führte die Husaren nach M.; es war kein Zweifel, daß sie einhauen oder doch ein Karabinerfeuer eröffnen würden und es ließ sich nicht absehen, wie groß die Zahl der Opfer sein würde.

Der Arbeiter deutete Wolfgangs Schweigen und sein nachdenkliches Zaudern mit der Antwort falsch. Er fuhr fort:

„Um den Herrn Kommerzienrat und seine bürgermeisterlichen Gnaden, sowie um die armen Teufel von Polizisten seien Sie ganz außer Sorge, ja selbst um den sauberen Herrn Weinlich, obgleich der alte Schuft gerade keine Schonung verdient hat. Für sie hafte ich

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_114.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)