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mir die erste und letzte nicht ab, geben Sie mir so einen Beweis Ihrer Zufriedenheit und einen Sporn zu freudiger Thätigkeit. Ich habe Ihr Wort, Herr Kommerzienrat, mich eine Stunde meine Mittel erschöpfen zu lassen und vorher nichts, absolut nichts zu thun? Dafür, daß man in der Zwischenzeit nichts gegen Sie unternimmt, verbürge ich mich, und die Leute haben es ja überdies versprochen.“

„Sehr beruhigend, in der That!“ murmelte Weinlich.

Der Kommerzienrat zögerte, aber, wenn auch widerwillig, er schlug endlich ein, ohne sich durch die lebhaften Zeichen von Unzufriedenheit und Entrüstung, die der Bürgermeister gab, beirren zu lassen. Als dieser den Stuhl unmutig zurückstieß und halblaut ein: „Unverzeihliche Schwäche!“ fallen ließ, meinte der Fabrikherr begütigend: „Lassen Sie ihn doch — er wird ja auch nichts ausrichten. Ich bin ihm und seiner Humanitätsschwärmerei eine gewisse Rücksicht schuldig und es kann ihm nichts schaden, wenn er sich überzeugt, daß an diesem trotzigen Volke Hopfer und Malz verloren ist.“

Mit einem leichten: „Also bis 11 Uhr — wünschen Sie mir glücklichen Erfolg, meine Herren!“ verließ Wolfgang rasch das Comptoir; einer der Polizisten, ein älterer Mann und Familienvater, folgte ihm bis an die Thür und flüsterte ihm zu:

„Ich wollte, Sie könnten etwas ausrichten, — niemand würde sich mehr darüber freuen als ich. Mein Kollege kommt eben erst von der Miliz, dem liegt die Kaserne noch in den Gliedern, — unsereiner fühlt sich aber doch nach und nach wieder als Mensch.“

Die treuherzigen Worte erschienen Wolfgang als eine glückliche Vorbedeutung. Er trat ruhig in den Hof und sprach gegen einen jungen Arbeiter, der erwartungsvoll auf ihn zukam, den Wunsch aus, mit ihren Wortführern Rücksprache zu nehmen. Man führte ihn sofort zu den abseits Rat haltenden Mitgliedern der Deputation, die von Weinlich so übel aufgenommen worden war. Das Gerücht, daß er als Unterhändler abgeschickt worden sei, verbreitete sich wie ein Lauffeuer in den einzelnen Gruppen und fand fast überall eine günstige Aufnahme. Er sah wohl da und dort ein finsteres Gesicht, auf dem ein verwegener Entschluß sich malte, aber viel häufiger grüßte man ihn mit freundlichem Nicken.

Die Deputation schien das Wort an einen noch ziemlich jungen, erst vor kurzem vom Rhein eingewanderten Arbeiter abgetreten zu haben, der fragend, aber weder unfreundlich noch entgegenkommend, auf Wolfgang zutrat. Das energische, etwas blasse Gesicht mit den tiefliegenden, forschenden grauen Augen und dem fast kokett gestützten rötlichen Schnurrbart gefiel Wolfgang. Dieser Mann wußte, was er wollte. „Was bringen Sie?“ fragte der Anwalt seiner Genossen.

„Am liebsten Frieden und jedenfalls wohlgemeinten Rat. Ich kenne nun die Stimmung drin (er zeigte zurück) und was ich Ihnen sagen kann, wird Ihnen vielleicht nützlich sein. Ich komme als Unparteiischer.“

„Ein Wort für viele. Billigen Sie die Fabrikordnung?“

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_112.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)