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hatte, eintrat. Man rief auch Weinlich herein, dem die kleine Anna inzwischen den Kopf regelrecht verbunden hatte; die Commis, sowie die Aufseher in der Fabrik hatten sich teils durch die Drohungen der Arbeiter, teils durch die eigene Furcht abhalten lassen, an ihren Posten zu erscheinen, wie Wolfgang auf seine Frage erfuhr. Der Bürgermeister war sichtlich echauffiert; er hatte sein Gesicht in streng amtliche Falten gelegt, und mit gemessener Förmlichkeit nahm er Platz und begann:

„Die den Aufrührern gesetzte Frist ist abgelaufen, ohne daß sie sich eines besseren besonnen hätten; man ist im Gegenteil zu argen Excessen übergegangen. Die Haltung der zum Teil berauschten Menge wird von Viertelstunde zu Viertelstunde bedrohlicher und es ist ganz unberechenbar, zu welchen Ausschreitungen sich der Haufe noch hinreißen lassen wird, wenn nicht radikale Mittel angewendet werden. Ihre Damen, Herr Kommerzienrat, sind längst in Sicherheit, wir brauchen also mit ihnen, die sehr gefährdet wären, nicht zu rechnen. Mit meinen zwei Dienern läßt sich nichts ausrichten; die Feuerwehr ist leider nicht am Platze. — “

„Ihr Hauptmann würde auch Bedenken tragen, sie und sich der Polizei zur Verfügung zu stellen; es ist ihm von irgend welchen Verpflichtungen, derartige Dienste zu leisten, nichts bekannt, und eine derartige Intervention könnte unter Umständen Anlaß zu Gehorsamsverweigerung werden und den Bestand des Corps in Frage stellen,“' unterbrach ihn Wolfgang.

Der Bürgermeister sah Wolfgang mit einem bedeutungsvoll gedehnten „So?“ betroffen an, der alte Weinlich lächelte höhnisch, der Kommerzienrat brauste auf:

„Wir brauchen Sie auch nicht, Herr Hammer, eine Schwadron Husaren ist mir entschieden lieber, als Ihre gesamte Feuerwehr.“

Der Bürgermeister fuhr mit allem Aplomb, dessen er fähig war, fort:

„Meine Pflicht gebietet mir, diesem ungesetzlichen Treiben nicht länger passiv zuzusehen und die Ordnung aufs schleunigste wieder herzustellen. Ein Telegramm an das Garnisonkommando in W. führt in spätestens dreiviertel Stunden eine ausreichende Abteilung Husaren hierher und bis mittag kann alles vorüber sein. Es handelt sich nur darum, das Telegramm nach der Station zu bringen und das hat seine Schwierigkeiten. Die Fabrik ist auf allen Seiten umzingelt; von uns kann niemand daran denken, sie zu verlassen und höchstens die Jungfer der Frau v. Larisch könnte den Versuch wagen.“

„Ich meine, der Erörterung der zweiten Frage muß erst die Entscheidung über die erste vorausgehen,“ wendete Wolfgang ein.

„Ich setze allerdings voraus, daß über die Bejahung der ersten Frage Stimmeneinhelligkeit herrscht, Sie höchstens ausgenommen, den Sie aus mir unerfindlichen Gründen ein beinahe sentimentales Mitleid mit dem unbotmäßigen, rohen Volke zu empfinden scheinen. Ich werde

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_110.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)