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trat einen Augenblick ans Fenster, um den kleinen Zug vorüberdefilieren zu lassen; sie kamen wohl von einer Frühübung, schoben die Fabrikspritze, die sie mit benutzt haben mochten, in den Schuppen und ihr Hauptmann hielt mit heller, sonorer Stimme eine kurze Ansprache an sie, worauf sie im Laufschritt davonrasselten. Dorette ist wirklich ein höchst scharfsinniges Geschöpf — es war, als hätte sie meine Gedanken erraten, denn sie fragte, wenn auch ein wenig schüchtern und sondierend, ob die Feuerwehr sich nicht einen recht stattlichen und feinen Hauptmann zugelegt hätte, und als ich lächelnd fragte, ob sie sich infolgedessen nicht recht auf den Ball beim Stiftungsfest der Feuerwehr freue, wurde sie ein wenig rot und erwiderte: „Wo denken Sie hin, gnädige Frau? An einen so feinen Herrn kann doch ein Kammermädchen nicht denken, und er würde schwerlich mit mir tanzen.“ Ich ließ sie weiter plaudern und erfuhr so in aller Bequemlichkeit, daß der schlanke, junge Mann mit den breiten Schultern und dem langen, blonden Schnurrbart sei sechs Wochen als Comptoirchef in Deines Vaters Diensten steht, daß er aus England gekommen ist und daß ihn die Feuerwehr, in die er als einfacher Spritzenmann eingetreten war, sehr bald auf Vorschlag ihres bisherigen Führers zum Hauptmann wählte, als sie sah, daß er alle Zweige des Dienstes aus dem Fundament verstand. Dorette erzählte mir auch, daß seine Leute, der Mehrzahl nach Weber, buchstäblich für ihn durchs Feuer gingen und daß er mit einem Blick mehr ausrichte, als der frühere Hauptmann mit all seinen Unteroffizierskernflüchen und allem Schimpfen und Wettern. Nur das kleine Häufchen junger Kaufleute, die der Feuerwehr angehören, soll nicht ganz mit ihm zufrieden sein; sie haben immer eine etwas exklusive Stellung eingenommen und sich abseits von ihren Kameraden zu halten gesucht und versprachen sich von der Erwählung eines Standesgenossen zum Führer natürlich eine Begünstigung ihrer Prätensionen, dieser hat aber, sobald er den Sachverhalt durchschaute, die Sondergelüste der geschniegelten Herrchen nicht bloß entschieden zurückgewiesen, sondern sie auch mit seinem, gutmütigem Humor lächerlich gemacht und rund heraus erklärt, daß er in seinem Corps nur Feuerwehrleute kenne und zwischen diesen keinen Unterschied mache, als den des Eifers, der Anstelligkeit, des Mutes und der Straffheit. Und was weißt Du nun über diesen Ritter im Stahlhelm und Roßhaarbusch, Emmy?“.

Fräulein Emmy war sichtlich enttäuscht und es klang ziemlich gedehnt und gleichgültig, als sie erwiderte:

„Ach, das ist also der Herr (Hammer, meine ich, heißt er), an dem Papa eine so gute Acquisition gemacht haben will und der im Comptoir eine Menge Verbesserungen und Vereinfachungen eingeführt hat, zum großen Verdruß des alten Weinlich, der bisher so eine Art Comptoirchef war und jetzt kalt gestellt ist. Papa hat früher seine Garne von den großen deutschen Zwischenhändlern bezogen, seit er jedoch die mechanische Weberei gebaut hat, findet er es profitabler, seine Bezüge direkt aus England zu machen und um gleich mit der Spinnerei in Verbindung zu

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_11.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)