Seite:Ein verlorener Posten 107.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Verhaltungsbefehle eingeholt hatte, kam mit dem Bescheid zurück: „Herr Hammer passiert.“ Ein schon betagtes Mitglied des Bildungsvereins trat zu ihm und fragte halb vertraulich: „Was wollen Sie beim Bürgermeister und seinen Polizisten, beim Kommerzienrat und dem alten Leuteschinder Weinlich? Sind Sie auch gegen uns?“

„Ich kann Euch drüben vielleicht mehr nützen, als stellte ich mich auf Eure Seite. Vor allem will ich hören und dann, wenn irgend möglich, vermitteln. Mit solchen Krawallen kommt Ihr nicht vorwärts, das müßt Ihr sehen, und das Einwerfen der Fenster ist eine unnütze Roheit und obendrein eine Thorheit.“

„Glauben Sie, das wäre nach meinem Sinn? Aber halten Sie einmal die Leute im Zaume! Wir haben unsere liebe Not gehabt, den Polen den Daumen aufs Auge zu setzen; ihnen ist es weniger um die Fabrikordnung zu thun, als um den Krawall, und daß drüben am Wohnhause noch nichts passiert ist, war nur sehr schwer durchzusetzen.“

„Gut — ich denke, wir sprechen uns gleich wieder.“

Im Comptoir waren von innen die Läden vorgesetzt; die Thür war verschlossen, und erst auf Wolfgangs wiederholtes Klopfen und auf die Nennung seines Namens öffnete sich die Thür so weit, daß er gerade hineinschlüpfen konnte. Im Comptoir fand er seinen Chef, der, die Arme auf der Brust verschränkt, ruhelos und mit allen Zeichen der Ungeduld und Gereiztheit im Zimmer auf und ab ging, als kämpfe er mit einem Entschluß, der ihm nicht leicht ward und zu dem ihn doch die Leidenschaft anstachelte. Sein Gesicht war hochgerötet und der Blick seiner Augen verhieß wenig Gutes. Er machte, als Wolfgang eintrat, plötzlich Halt und stieß ein erstauntes: „Sie, Herr Hammer? Hat die Bagage Sie durchgelassen?“ hervor.

„Wie Sie sehen, ja. Uebrigens glaube ich nicht, daß die Leute diesen Namen verdienen, — ich habe sie ziemlich vernünftig und zugänglich gefunden.“

Der Kommerzienrat lachte höhnisch auf. „Das ist ja ein kapitaler Spaß, — schließlich sind die besoffenen Polacken noch die sanften Lämmer und wir hier innen die reißenden Wölfe. Wollen Sie sich nicht gefälligst überzeugen, wie vernünftig und zugänglich die Kerle dem armen Weinlich gegenüber gewesen sind?“

Er öffnete die Thür und Wolfgang sah im anstoßenden Zimmer den alten Weinlich unter den Händen der kleinen Anna. Er hatte einige ansehnliche Löcher im Kopfe und die Kleine war vergebens bemüht, die Blutung zu stillen. Seine kleinen, falschen Augen funkelten von Haß und Wut und Rachgier, und doch lag soviel feige Furcht in dem Wesen des Menschen, daß Wolfgang nur tiefe Verachtung, aber keine Regung von Mitleid empfand. Er fragte kühl:

„Und wie ist das gekommen? — Ich kann den Grund nur vermuten.“

„Weinlich hatte eine neue, strengere Fabrikordnung entworfen, da in der letzteren Zeit mehrfach Unordnungen und Unbotmäßigkeiten vorgekommen

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_107.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)