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um rasch wieder zu verschwinden; und aus der Ferne kam, wenn auch gedämpft, ein verworrener Lärm, wie von vielen zornig erhobenen und einander bekämpfenden Stimmen. Als das leichte Gefährt auf den freien; Platz einbog, auf dem die Weberei und das Wohnhaus des Kommerzienrats einander gegenüberlagen, bot sich Wolfgang ein überraschendes Schauspiel, und ein minder Beherzter wäre vielleicht unschlüssig geworden. Die Fabrik war auf allen Seiten von aufgeregten Arbeitern umzingelt, aus deren Mitte ab und zu ein Stein gegen die Fenster flog, und wenn wieder eine Scheibe klirrend zersplitterte, belohnte ein wüstes Hurra den geschickten Wurf. Im Erdgeschoß und im ersten Stockwerk war kaum noch eine Scheibe zu zertrümmern und auch die Laternen waren dem knabenhaften Unfug zum Opfer gefallen. Die Arbeiter selbst schienen in zwei nicht ganz einige Heerlager zerspalten; die Polen, bei denen die Flasche unablässig kreiste und in deren Mitte ab und zu eine von den eintönig-schwermütigen slawischen Weisen angestimmt wurde, die man so schwer vergißt, wenn man sie nur einmal gehört hat, schienen zu rücksichtslosem Vorgehen geneigt, und die hitzigsten und heftigsten von ihnen, die immer wieder nach dem Comptoir zu drängten, wurden mit Mühe von einer Anzahl deutscher Kameraden zurückgehalten, während zugleich zwischen einem kleinen Trupp, anscheinend ihren Wortführern, und zwischen mehreren älteren und ruhigeren Polen lebhaft, ja leidenschaftlich verhandelt wurde. War nur dieser Zwiespalt bisher die Rettung der Fabrik vor dem Schicksal der Demolierung gewesen? Fast schien es so.

Wolfgang sprang vom Wagen, reichte dem Bauer, der das befremdende Schauspiel verblüfft anstarrte, die Hand auf den Bock und drückte die seine mit einem freundlichen Wort des Dankes. Dann wendete er sich und ging ruhig, mit raschem, festem Schritt auf die Fabrik zu.

Machte man der durchnäßten, schmutzbespritzten und rauchgeschwärzten Uniform Platz, ohne sich eigentlich über die Regung unwillkürlichen Respekts Rechenschaft abzulegen, der man dabei gehorsamte? Hatte Wolfgang sich schon so lebhafte Sympathien erworben, daß man es nicht über sich gewann, ihm in den Weg zu treten? Er hatte bereits, ohne anscheinend um die bedrohlichen Zusammenrottungen sich zu kümmern, den weiten Platz zur Hälfte durchkreuzt, und die einzelnen Gruppen hatten ihn vorübergelassen. Da traten ihm plötzlich zwei junge polnische Arbeiter in den Weg und herrschten ihm auf polnisch zu, umzukehren; er stellte sich, als verstehe er sie nicht und wollte weitergehen, und als ihn der eine an der Brust packte und drohend die Faust hob, stieß ihn Wolfgang zurück, daß er taumelte. Ehe der also Abgewiesene sich zu einem neuen Angriff aus den in trotziger Verteidigungsstellung ihn Erwartenden entschlossen hatte, eilten mehrere deutsche Arbeiter herbei und drängten die Polen weg. Sie schlossen einen schützenden Kreis um ihn, und einer von den jungen Leuten, der sofort bei den durch den Drang der Stunde an die Spitze gestellten Wortführern

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_106.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)