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die gesamte Mannschaft noch in Thätigkeit blieb, bis die von Wolfgang gleich bei seiner Ankunft aufgegebenen Gebäude abgelöscht oder vollends niedergebrannt waren. Darüber konnte leicht der Mittag herankommen, und da Wolfgangs Anwesenheit im Comptoir nötig war (er erwartete eine wichtige englische Post, die er selber erledigen mußte), so war ihm das freundliche Anerbieten eines Bauers, anzuspannen und ihn nach der Stadt zu fahren, sehr willkommen. Nachdem er das Kommando dem ältesten Spritzenmeister übertragen und demselben seine letzten Anordnungen erteilt hatte, bestieg er das leichte Wägelchen, das bald rasselnd auf der Chaussee dahinrollte; die beiden jungen, feurigen Pferde griffen fast übermütig aus, und es war nicht eben leicht, während dieser polternden Fahrt, bei der es ohne kleine Stöße und ein gelegentliches Hin- und Herwanken nicht abging, zu schlummern. Dennoch war Wolfgang mit hochgeschlossenen Augen in jenen Zwischenzustand versunken, der nicht mehr Wachen und noch nicht Schlafen ist, als ihn ein Mann, der ihm entgegenkam, durch seinen lebhaften Anruf jäh aus seinem Vorsichhindämmern aufschreckte.

„Herr Hammer, machen Sie, daß Sie in die Stadt kommen, in Ihrer Fabrik ist der Teufel los, wenn die Polacken sie nicht bereits erstürmt und demoliert haben."

Wolfgang schüttelte ungläubig den Kopf. Woher sollte dieser Arbeiterbevölkerung, die er immer zu unterwürfig gefunden und der er schon oft ein steiferes Rückgrat und einen starreren Nacken gewünscht hatte, die Geneigtheit zu gewaltsamen Ausschreitungen kommen?

„Haben Sie das alles mit eigenen Augen gesehen oder hat man Ihnen einen Bären aufgebunden? Und ist ja etwas vorgekommen, so macht man wohl aus der Maus einen Elefanten."

„Ich komme direkt von der Fabrik und habe mich fortgemacht, weil die Geschichte anfing, mir unheimlich zu werden. Ich sage Ihnen, Herr Hammer, ich möchte nicht in der Haut des Herrn Kommerzienrats stecken, und wenn sie ihm heute den roten Hahn nicht aufs Dach setzen, so hat er von Glück zu sagen. Sie kennen die Polen nicht — das ist schlechtes, heimtückisches Volk, und wenn sie gezecht haben, sind sie zu allem fähig."

„Nun, wir werden ja sehen, — schön Dank, trotz der Hiobspost. Und wenn Sie aufgeschnitten haben, mache ich Sie in ganz M. schlecht und schreibe mit Kreide an Ihre Hausthür: Windbeutel."

Der Mann schüttelte beteuernd den Kopf, und Wolfgang, dem plötzlich die neue Fabrikordnung einfiel, die der alte Weinlich ausgearbeitet hatte und die ein Zuchthausregiment in der Fabrik einzuführen strebte, und der nun selber unsicher wurde, bat den Bauer, ihn nicht erst nach seiner Wohnung, sondern geradenwegs nach der Fabrik zu fahren. Man hatte dieselbe noch lange nicht erreicht, als Wolfgang bereits allerlei Anzeichen dafür erhielt, daß der vorsichtige Spießbürger nicht übertrieben hatte. Kein Mensch war auf den Straßen, durch die sie[WS 1] dahinrasselten, nur ab und zu fuhr ein neugieriger Frauenkopf ans Fenster,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: sie die
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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 105. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_105.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)