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würde ich Ihnen weniger behilflich sein, ein neues, kleines Verhältnis anzuknüpfen, wenn ich nicht drauf und dran wäre, eine älteres kurzerhand durchzuschneiden, wobei es möglicherweise ohne einige kleine Schmerzensschreie nicht abgehen wird.“

„Herr, Sie sprechen in Rätseln!“ erwiderte der Dicke mit Pathos.

„Sie werden die Lösung wohl mit sehr gemischten Empfindungen entgegennehmen; sie liegt in dem kleinen duftenden Briefchen, das mich vorhin in den Verdacht brachte, zum Romeo irgend einer Julia avanciert zu sein.

Man war wieder in der Laube angelangt; Wolfgang las den beiden das Briefchen Leontinens vor und sagte dann rasch:

„Die hübsche Kleine, von der die Rede ist Ihre kleine Anna, die ich Ihnen, wie Figura zeigt, entführt habe. Ich glaube, auf das junge Mädchen Rechte erlangt zu haben, die den Ihrigen, wennschon dieselben die älteren sind, mindestens die Wage halten, und bei aller meiner Hochachtung für Sie habe ich nicht umhin gekonnt, es wünschenswert, wo nicht notwendig zu finden, daß der Verkehr der Kleinen mit Ihnen ein Ende nehme. Es ist nichts mehr an der Sache zu ändern, und es fragt sich bloß, ob Sie mir unter dem Druck der Zwangslage, in die ich Sie als echter Diplomat gebracht habe, Indemnität erteilen wollen, oder ob Sie es für notwendig halten, mich zur Rechenschaft zu ziehen. Wenn Sie es wünschen, werde ich meine Gründe in Schlachtordnung vor Ihnen aufmarschieren lassen, ich bin aber geneigt, zu glauben, daß Sie über die Natur dieser Gründe keinen Augenblick im Zweifel sind und daß ich nur gethan habe, was Ihnen wohl so manches Mal in einer Stunde des Nachdenkens als notwendig vorgeschwebt haben mag.“

Der lange Alfred brannte sich die Cigarre an der Kerze der Windlampe an und sagte mit einer elegischen Geste und melancholischem Tonfall:

„Das ist das Los des Schönen auf der Erde! Nie hat ein reineres und schöneres Verhältnis bestanden, als zwischen uns und der kleinen Anna, und ich möchte blutige Thränen weinen, aber ich kann nicht umhin, mich Ihren Gründen, die ich Ihnen erlasse, zu beugen, und wenn mein stummer Schmerz sich erst etwas gemildert haben wird, werde ich wohl die Kraft haben. Ihnen sogar zu danken und die Hand zu küssen, die mich züchtigte. Unsere kleine Anna! Wie eine Rose kam sie mir entgegen!, aber Sie haben recht, sie soll nicht Nr. 24 sein, und das wollen Sie doch verhindern, während Sie sich jedenfalls sagen, daß meine überwältigende Liebenswürdigkeit der Kleinen früher oder später dieses Los bereitet haben würde. Uebrigens kann man als Beschützer einer gefährdeten Unschuld unmöglich mehr spanische Grandezza entfalten, als Sie, lieber Hammer; Sie haben die kleine Intrigue ganz meisterhaft durchgeführt, und wir können nur gute Miene zum bösen Spiel machen, ich wenigstens werde mich einem Mädchen zuliebe niemals mit Ihnen zanken.“

Der Dicke war anscheinend minder versöhnlich. Er schmollte wie

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_102.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)