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herrücken, dann ward Stille, und zuletzt sah man auch seine Cigarre nicht mehr, die noch lange wie ein Glühwürmchen durchs Dunkel geleuchtet hatte. Der Schlag der Mitternachtsstunde mahnte die beiden in der Laube endlich ans Aufhören, und der Lange erhob sich aus seiner weniger malerischen als bequemen Lage und sagte mit dem warmen Ausdruck der innersten Ueberzeugung:

„Sehen Sie, lieber Hammer, das sind meine glücklichsten Stunden, und wenn wir uns bei einer guten Cigarre und einem echten Tröpfchen etwas Vernünftiges vorlesen, vergesse ich alles, was mich wohl sonst beschäftigt, beunruhigt und plagt. Ich mag mir die Sache hundertmal überlegen — so glücklich war ich weder bei einer meiner dreiundzwanzig offiziellen Liebschaften, noch kann ich mir vorstellen, daß ich so glücklich würde, wenn ich Ellen heiratete. Sie ist eine reine Elfe, aber — ich kann ohne sie leben; ich habe sie sehr gern, aber — ich kann mich nicht mehr verlieben, und wenn Sie wieder von hier fortgingen, so würde mir das viel mehr Kopfschmerzen verursachen, als irgendeine von den kleinen Herzensangelegenheiten, vor denen ich mich nun einmal nicht retten kann.“

„Sehr schmeichelhaft für mich, indessen sollen Sie mir dieses Kompliment nicht ungestraft gemacht haben. Ich nehme Sie beim Wort und hoffe, daß unser Freund, der da hinten neben der Federnelkenrabatte seinen Sommernachtstraum träumt, derartiger Empfindungen wenigstens einigermaßen fähig ist. Sie haben hoffentlich nicht vergessen, daß ich Ihnen noch eine Enthüllung zu machen hatte.“

„Ja so, wie war denn das? Da müssen wir also den Bruder wecken, der sonst bis zum Morgen schnarcht.“

Sie suchten den harmlosen Sozialistenfresser auf und fanden ihn auf seinem provisorischen Lager in festem, süßem Schlummer. Als man ihn rüttelte, fuhr er gähnend auf und rief dann enthusiastisch:

„Ich kann Ihnen nicht sagen, Herr Hammer, wie herrlich ich geschlafen habe — geradezu märchenhaft. Die Nelken dufteten, eine Unmasse großer und kleiner Nachtschmetterlinge umschwärmten die fleischfarbigen Blumen, die in der Dunkelheit weiß erschienen, und dann und wann passierte es wohl, daß so ein Schwärmer mir mit seinen sammetweichen Flügeln das Gesicht streifte oder mir krabbelnd aus der Hand hinkroch oder einer von den ganz großen flog mir hart an den Augen vorüber und drüben im Walde schlug eine Nachtigall — leise, wie im Traume; darüber bin ich denn eingeschlafen und keine Sprache hat Worte, mit denen ich Ihnen schildern könnte, wie schlau ich mich befinde und welche Wohlthat ich meinem gemarterten Leichnam erwiesen habe. Aber nun erlauben Sie wohl, daß ich mir bei Sternenschein einen Rosenstrauß schneide — Sie haben ja, wenn Sie sich erinnern wollen, huldvoll Gewährung gelächelt.“

„Immerhin — nur an der „Ophelia“ gehen Sie mir respektvoll vorüber — sie hat nur zwei Blumen und über diese breite ich schirmend meine Hände. Ich bin übrigens gar nicht so uneigennützig; vielleicht

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 101. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_101.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)