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gute Martha verliebt und sie zu seiner Muse macht. Und ich hatte mir immer gedacht, sie werde mir einmal einen schon etwas ältlichen, aber wohlkonservierten Herrn in Amt und Würden als ihren zukünftigen Eheherrn präsentieren! Du weißt doch, daß sie vor ein paar Wochen ihren dreiunddreißigsten Geburtstag feierte — was sie allerdings gar nicht zu betrüben schien, während mir bei dem bloßen Gedanken, ich könnte ebenso alt werden, ohne Frau zu sein, die Thränen in die Augen traten, so daß ich unwillkürlich zu schluchzen begann, als ich ihr meinen Gratulationskuß gab; sie hat zum Glück nicht erraten, was mich so aufregte, denn sie hätte mich gewiß in der sanften Weise gescholten, vor der ich mehr Furcht habe, als vor irgend etwas auf der Welt.“

„Um die dreiunddreißig sei Du nur ganz unbesorgt, und mit dem ältlichen wohlkonservierten Herrn bist Du aller Wahrscheinlichkeit nach auf einem Holzwege, obschon ich mir den Dichter, dessen Liebe sie verdient, wesentlich anders denke, als Du. Ich sage Dir, in dieser stillen Gestalt, die so sparsam mit den Worten ist und die dem sofort zu denken giebt, der ein einziges Mal sah, wie sie die Augen voll aufschlug, die sonst immer von den langen Wimpern verschleiert sind, der ein einziges Mal den Ausdruck gespannter Aufmerksamkeit und voller Teilnahme in diesen dunklen Augen gewahrte — ich sage Dir, in dieser stummen Gestalt schlummert mehr Leidenschaft und Poesie, als wir je besessen haben, und sie ist im stande, eine von den berauschenden Liebesleidenschaften zu entzünden und zu erwidern, unbekümmert um die Folgen, die wir so hinreißend und rührend finden, wenn ein Dichter sie uns schildert, die aber in Wirklichkeit so selten sind und vor denen wir auch in kleinmütiger Verzagtheit zurückschrecken würden, wenn sie je im Leben an uns heranträten. Das weiß sie wohl selber noch nicht, aber sie wird es erfahren und es wäre schade, wenn sie es nicht erführe, denn ein Leben ohne Liebe ist für sie härter als für uns und —“

Sie unterbrach sich. Die in so warmer Weise Geschilderte trat mit dem Armleuchter ins Zimmer und entzündete die beiden Kerzen.

Fräulein Emmy, die recht nachdenklich geworden war und in der sich (zum erstenmal) der Zweifel regte, ob sie von ihrer mütterlichen Freundin nicht am Ende mystifiziert werde, lenkte das Gespräch auf seinen Ausgangspunkt zurück, indem sie sagte:

„Du hältst die Ritterlichkeit ebenfalls für die Grundbedingung eines ernsten Interesses für einen Mann, erkennst aber den Offizieren nur eine imitierte zu; darf ich vielleicht fragen, ob Dir die echte hier oder in W. jemals aufgestoßen ist? Ich wäre sehr neugierig, diesen Sterblichen ebenfalls kennen zu lernen und würde dann versuchen, den Frack erträglich zu finden.“

„Willst Du immer weiter schweifen? sieh, das Gute liegt so nahe,“ rezitierte Frau Leontine spöttelnd. „Ich weiß in der That nicht, wo Du Deine Augen hast, denn mir ist die neue Erscheinung sofort aufgefallen. Deine Dorette machte mir gestern früh gerade das Haar, als vom Platze herauf die Signalhörner der Feuerwehr schallten, und ich

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_10.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)