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sich doch noch einmal ein recht guter und gescheiter Mann fände, von dem Du sagen könntest, er wäre der Rechte, wäre es erst recht aus; es ist doch gewiß sehr unphilosophisch, sich zu verheiraten, noch dazu in der Kirche. Die abscheulichen Philosophen sind ja alle wahre Heiden!“

Frau Leontine v. Larisch hatte nicht umhin gekonnt, in das Gelächter des übermütigen, höchlich amüsierten blonden Kindes einzustimmen, und die Dämmerung im Zimmer erlaubte gerade noch, auch auf dem Gesicht von Martha Hoyer ein leises, wohlwollendes, wenn auch ein wenig zerstreutes Lächeln zu entdecken. Mit den scherzenden Worten: „Es ist doch wohl besser, ich sorge für Licht, sonst mißbraucht Ihr das Vorrecht der Dämmerstunde gar zu lange!“ verließ sie ihren Platz und das kleine Gemach, und Leontine ließ einen nachdenklichen Blick auf der schlanken, biegsamen Gestalt ruhen, die sich so geräuschlos und mit so viel unbewußter, natürlicher Anmut zu bewegen verstand. Dann wendete sie sich an Emmy:

„Es scheint, ich muß Dir heute lauter Vorlesungen halten. Ich hatte keineswegs gesagt, daß Martha eine Philosophin sei, sondern nur von einer „philosophischen Natur“ gesprochen, was Du besser verstehen wirst, wenn ich hinzufüge „und auch eine poetische“ — im Grunde besteht zwischen beidem eine innige Wechselwirkung. Darüber war nichts zu lachen, sollte ich meinen. Hätte ich behaupten wollen, Martha sei eine Philosophin und Dichterin, so wäre das ein unpassender Scherz gewesen — sie hat wohl nie etwas geschrieben, als die Posten ihres Ausgabebuchs, einen Waschzettel und — Briefe, aber das rechne ich ihr zum besonderen Verdienst an, denn ihre Briefe sind so hübsch, so fein und energisch im Ausdruck, so eigenartig und doch einfach und wahr im Besprechen der alltäglichsten Vorkommnisse, daß jede andere längst auf die nicht mehr ungewöhnliche Idee gekommen wäre, „psychologische“ Novellen á la Marlitt zu schreiben, in denen das Weib das sittliche Korrektiv des Mannes ist, und die Redakteure der belletristischen Blätter mit ihnen zu bombardieren. Ich bin überzeugt, sie hat auch nicht einen Vers verbrochen, wessen ich mich willig schuldig bekenne und worin selbst Du vermutlich kein ganz reines Gewissen hast, wenn es sich auch nur um ein ausgelassenes Spottgedicht handeln wird. Aber ich würde es Martha auch sehr verargen, wollte sie sich aufs Reimen legen, um sich in der Sonntagsnummer des Kreisblattes unter einem romantischen (natürlich adeligen) Pseudonym gedruckt zu sehen — sie hat den Beruf, einen wirklichen Poeten zu Hunderten von Strophen zu begeistern, nicht den, selber mangelhafte Verse zu machen.“

Fräulein Emmy machte eine Gebärde humoristischer Abwehr.

„Nun hör aber auf — es ist gerade genug. Wenn ich heute Nacht nur eine halbe Stunde ruhig zu schlafen vermag — Deine Schuld ist es nicht. Erst soll mir mein hübsches, buntes Offizierskartenhaus zerblasen werden („soll — werden“ betonte sie) und nun wird auch noch prophezeit, daß sich ein junger Dichter mit bald träumerisch verschleierten, bald scherzhaft blitzenden Augen und wallenden Locken in unsere

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_09.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)