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Die Schweigsame am Fenster erwidert nichts und sieht hinaus in den Garten, aus dem das Plätschern des wieder in Stand gesetzten Springbrunnens durch die Stille dringt; der Garten verläuft sich allmählich in Gebüschpartien, nimmt nach und nach vollständigen Parkcharakter an und geht zuletzt am Fuße des Höhenzuges in den Wald über, der diesen bedeckt, nur durch einen hohen Wildzaun von den königlichen und städtischen Forsten geschieden.

Fräulein Emmy hat inzwischen, obgleich etwas betreten, ihr orientalisches Parfüm, das sie „rasend“ liebt, in Schutz genommen, wird jedoch erst lebhaft, als die Dame, die sie „Kind“ genannt hat, das Gespräch auf den nächsten Kasinoball in W., der benachbarten Kreisstadt, bringt. Im Tone unverkennbaren Interesses erkundigt sie sich:

„Wir sind auch eingeladen, aber ob ich hingehe, steht noch nicht fest; meine besten Tänzer sind augenblicklich nicht da und Du weißt wohl auch nicht, ob sie bis dahin zurückkehren werden; es wäre unverzeihlich — aber auf diese Herren ist nicht immer voller Verlaß und man muß sich doch immer wieder versöhnen lassen, sonst werden die Bälle ja ganz fad.“

„Also Premierlieutenant von Ehrenfels, Lieutenant von Brandt, Lieutenant von Werner, Rittmeister von Heldrich? — ich nenne sie nach der Anciennität, d. h. nach der ihrer Gunst bei Dir.“

Die Frage hat eine leicht ironische Färbung.

Fräulein Emmy ist viel zu naiv, arglos und eifrig, um diese Nüance nicht zu überhören. Sie meint:

„Das ist aber noch keine Antwort; ich wollte doch wissen, ob Du etwas über die Rückkehr der Herren gehört hättest.“

„Ja, nach dem, was man mir sagte, hast Du wenig Aussicht, die Namen der Herren in angemessener Abwechslung hinter die einzelnen Tänze zu schreiben und Dich an lichtblaue Attilas mit silberner Verschnürung zu schmiegen — Du wirst wohl einmal mit dem bürgerlichen schwarzen Frack vorlieb nehmen müssen, womit ich nicht gesagt haben will, daß ich denselben für übermäßig geschmackvoll halte.“

„Ach, das ist es ja nicht allein; Du wirst doch zugeben, daß die Unterhaltung mit einem Offizier bei weitem interessanter ist, als die fast aller Herren vom Civil?“

„Womit Du jedenfalls andeuten willst, man brauche nur klingende Sporen an den Hacken zu tragen und einen klirrenden Säbel übers Pflaster zu schleifen, um der Inbegriff ritterlicher Galanterie und männlicher Schönheit zu sein? Nun, Du wirft mit der Zeit auch auf andere Gedanken kommen, hoffentlich ohne schmerzliche Erfahrungen und lediglich durch das Wachsen Deiner Einsicht.“

Fräulein Emmy ist sichtlich überrascht.

„Das klingt ja förmlich pathetisch und es möchte einem ganz angst und bange werden. Aber was in aller Welt hast Du denn plötzlich gegen die armen Offiziere? Du hast doch früher nie solche Ansichten geäußert, sondern (und hier machte sie einen schüchternen Versuch, etwas

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Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_06.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)