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Töchter seines Bankiers in Breslau, die seine Emmy einmal besucht hatten, über dieses Boudoir verstohlen die Näschen rümpften; sie fanden, Tapete, Vorhänge und Meublement seien sehr kostbar, stimmten aber in der Farbe nicht harmonisch zusammen, man habe auch nach und nach viel zu viel in das kleine Zimmer hineingepfropft, nach Laune und Zufall, statt dasselbe nach einem bestimmten Plan mit geschmackvoller Enthaltsamkeit und einfacher Eleganz auszustatten, und neben Gegenständen, die einen wirklichen Kunstwert besäßen, fänden sich andere, die vielleicht teurer gewesen seien und dem Kommerzienrat dadurch imponiert hätten, die aber eine wirklich vornehme junge Dame nur belächeln, über die sie nur die Achseln zucken könne.

Es kann uns wohl nicht zugemutet werden, ein Urteil darüber abzugeben, inwieweit diese Kritik eine berechtigte war; wir verstehen ja von solchen Dingen auch nicht allzuviel und werden uns wohl in der Hauptsache auf die beiden Damen aus der Provinzialhauptstadt verlassen dürfen: ich sage ausdrücklich „in der Hauptsache“ — es giebt nicht viele Frauen, die nicht ein wenig boshaft, ein wenig ironisch und ein wenig malitiös würden, wenn von der Einrichtung oder der Toilette einer anderen, und sei es selbst eine sehr „liebe“ Freundin, die Rede ist, und diese erfahrungsmäßig feststehende Thatsache macht es notwendig, in Gedanken die etwas zu strengen Aeußerungen um eine Kleinigkeit zu mildern und abzuschwächen.

Was wir selber an dem Zimmerchen der jungen Dame auszusetzen haben, ist, daß sich dem Duft der vielfarbigen Hyacinthenkerzen und der milchweißen Maiblumenglöckchen, die den Blumentisch schmücken, der Duft eines starken modischen Parfüms beimischt — in einer für schwache Nerven jedenfalls höchst empfindlichen Weise.

Fräulein Emmy merkt davon freilich nichts; sie hat von der Mutter eine gesunde, kernfeste Natur geerbt, sich aber allerdings darüber, daß sie so gar nicht weiß, was Nerven sind und über ihre frischen Farben, die ihr fast bäuerisch erscheinen wollen, schon Vorwürfe gemacht und ihre Pensionatsfreundinnen um ihre nervöse Disposition und ihre matte Farbe ernstlich beneidet; es ist jedenfalls wesentlich „feiner“ und einer Kommerzienratstochter würdiger, von den Nerven tyrannisiert zu werden und sich einer schmachtenden, interessanten Blässe rühmen zu können. Ihre Nerven widerstehen dem betäubenden Duft, von dem ihr Zimmerchen erfüllt ist, die Dame jedoch, welche sich nachlässig in die andere Ecke der blausamtenen Causeuse gegossen hat (Fräulein Emmy hat auch das noch nicht „weg“ und giebt sich viele Mühe, es zu erlernen), muß sich schon eher dem Idealzustande nähern, denn als die dritte, welche, von den schweren Vorhängen fast verdeckt, am Fenster sitzt, dieses öffnet, sagt sie lebhaft:

„Recht so, Martha — es ist unerträglich schwül und Emmy sollte entweder ihre Hyacinthen wegbringen lassen oder ihr Parfüm nicht wie Weihwasser verspritzen. Zu starke Gerüche sind auch nicht bon ton, Kind.“

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Ein verlorener Posten. Goldhausen, Leipzig 1878 und 1902, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ein_verlorener_Posten_05.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)