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beziehe, allerdings in der wohl etwas optimistischen Voraussetzung, daß die Zeit nicht mehr fern sei, wo sich die zersplitterte buddhistische Welt in ein organisches Ganzes gliedern wird und wo der vor zwei und einem halben Jahrtausend von König Asoka[WS 1] auf dem Platze, wo dem Religionsstifter „das Licht in der Seele aufging“, erbaute Tempel „Buddha Gaja“[WS 2] als Buddhistenschule wiederhergestellt werden und zum Sammelplatz für die Leiter aller in der Welt zerstreut lebenden Anhänger dieser Lehre dienen wird, die zwei Drittel der Gesamt-Bewohnerschaft Asiens umfaßt. Bei unserem letzten Zusammensein in Rangun klagte Oberst Olkott mit bitterem Entsagungsschmerz über die große Flauheit, mit der seine Bestrebungen bei vielen hochstehenden Buddhisten zu kämpfen hätten; es wird also wohl noch ein gutes Weilchen dauern, bevor die erhoffte internationale Buddhisten-Hochschule in Buddha Gaja zu der erstrebten Pflanzstätte kosmopolitisch-buddhistischen Glaubens ausgewachsen sein wird, der, wie in den ersten Zeiten des Buddhismus, auf das brahmanisierte Indien einwirken soll, um sich allmählich dessen zahllose Sekten einzuverleiben und von neuem unzählige Menschen auf die Bahn der Verehrung des „göttlichen Lehrers“ zu lenken. Ob als Oberhaupt dieser religiösen und geistigen Bewegung wirklich, wie es geplant wird, der Dalai Lama[WS 3] hervorgehen wird, kann ebenfalls nur die Zukunft lehren.

Wie Fürst Uchtomsky ausführt, verfolgte Olkott als Präsident der theosophischen Gesellschaft jahrelang den Gedanken, die Glieder der geistigen Kette aufzufinden, welche die Länder verknüpft, in denen Buddha als Gott verehrt wird. Er bereiste Asien, machte sich mit den hervorragendsten eingeborenen Priestern bekannt und verfaßte dann für die Buddhisten der ganzen Welt eine Art Glaubensbekenntnis. Alles Unwesentliche, Konventionelle, alles eng Nationale und rein Zufällige wurde darin beseitigt, da der Buddhismus stets bereit ist, in seine Kultusformen alle möglichen anderen aufzunehmen, wenn sie nur seine Hauptidee nicht beeinträchtigen: die Idee von dem „göttlichen Lehrer“ und der von diesem angewiesenen Bahnen zur Selbstvollendung im Zusammenhang mit der Mahnung des Meisters, allmählich allen lebenden Wesen die Lehre mitzuteilen, durch deren Befolgung sie sich von der Wiedergeburt und den mit ihr verbundenen Leiden endgültig befreien können. Nur das Wesentliche der Lehre sollte in dieses Bekenntnis aufgenommen werden. So wird allmählich vieles aus den religiösen Eigentümlichkeiten Asiens erklärt werden können, die Glaubensformen der Hunderte von Millionen werden sich anschaulicher darstellen, und von der Seele jener Epoche, in der die buddhistische Lehre begründet wurde und wo ihre Verkündigung die Menschen entflammte, wird der Schleier gelüftet werden.

In Japan, Birma und auf Ceylon hat das Programm Olkotts mit den darin enthaltenen 14 Grundbestimmungen bereits Billigung gefunden, und es bleibt abzuwarten, was diese Neuerungen in Bezug auf die Befestigung der geistigen Verbindung zwischen den buddhistischen Völkern in Indo-China, im

Innern Chinas und in Korea und Tibet bewirken werden. Die Hauptfrage

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: König Asoka: vergleiche Ashoka (304 bis 232 v. Chr.)
  2. WS: Buddha Gaja: vergleiche Bodhgaya
  3. WS: Dalai Lama: vergleiche Thubten Gyatsho (1876–1933), 13. Dalai Lama
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Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/63&oldid=- (Version vom 1.7.2018)