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englischen Arzte Dr. Paul[WS 1]: A treatise on the Jogi Philosophy mit dieser physiologisch bedeutsamen Fertigkeit der Jogis in seiner Schrift „Über die Erforschung des Lebens“ beschäftigt und hat auch nicht verfehlt, mich um Mitteilung meiner Beobachtungen auf diesem Gebiete zu ersuchen, doch mußte ich bekennen, daß ich bei dem öffentlich zur Schau gestellten eingegrabenen Büßer, den ich gesehen habe, eine Täuschung des Publikums nicht für ausgeschlossen und eine künstliche Luftzuführung für wahrscheinlich halte. Nur eine sorgfältige wissenschaftliche Prüfung könnte hierüber Licht bringen. Auch an eine Verminderung oder gar eine völlige Aufhebung der Schwerkraftswirkung und an die „Levitation“ anderer Naturgesetze, die von den Radsch-Jogis bewirkt werden soll, vermag ich nicht gleich einigen zum Spiritismus neigenden Indienreisenden zu glauben; unter diesen geht die geniale Russin G. P. Blawatzky sogar so weit, von der plötzlichen Tötung eines Tigers nur durch das „Wort“ eines Jogis zu erzählen, der sie beigewohnt haben will![WS 2]

Trotz der allergrößten Mühe konnte ich in ganz Indien nicht einen einzigen dieser in die Ferne wirkenden Radsch-Jogis zu Gesicht bekommen; auch die von dem Amerikaner Bancroft[WS 3] beschriebenen sensationellen Wunder scheinen mir doch nichts anderes als geistreiche Taschenspielerkunststücke gewesen zu sein. Welchen Reiz aber das Studium der Geheimlehre dieser Jogis zu entwickeln vermag, zeigt das Beispiel des englischen Hauptmanns Seymour,[WS 4] der in der Überzeugung, daß ihn die Brahmanen sonst niemals in die letzten Geheimnisse der Jogimagie einweihen würden, sogar zum Brahminenglauben übertrat, sich genau wie ein indischer Sanyassi kleidete und wie ein solcher benahm; von den englischen Behörden wiederholt eingefangen und ins Irrenhaus gesteckt, kehrte er immer wieder nach Indien zurück, um dort als Jogi zu sterben.

Zu der Fähigkeit, das Atembedürfnis lange Zeit unterdrücken zu können, trägt sicherlich die an ein traumhaftes Pflanzendasein erinnernde Lebensweise der Jogis viel bei: ihr Schweigen oder sehr leises Sprechen, Mangel jeglicher Körperbewegung, überaus spärliche, ausschließlich aus Milch, Reis und Honig bestehende Nahrung und die Vermeidung aller Gewürze. Auch darf man nicht vergessen, daß ein Jogi seine Zunge durch 24 Einschnitte und melkende Einreibung von Öl derart zu verlängern pflegt, daß sie nach hinten umgeschlagen werden kann, um Stimmritze und Kehldeckel mit der Zungenspitze zu verschließen,[WS 5] nachdem Lunge und Magen mit Luft angefüllt und die Ohren mit Baumwolle versperrt sind. Durch beharrliches Schielen nach seiner Nasenspitze soll dann ein solcher Jogi die Tätigkeit der Sinne fast gänzlich aufhören lassen können.

Kommt ein hervorragender Gosain oder Jogi als Wallfahrer nach Paschpattinath, so werden ihm ganz besonders hohe Ehren erwiesen; es ist ein wahrhaft märchenhafter Anblick, in dunkler Nacht im Scheine flackernder Lampen und Fackeln derartige durch Askese ausgemergelte, malerische Gestalten mit untergeschlagenen Füßen, deren Sohlenflächen dabei nach oben gedreht

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: englischer Arzt Dr. Paul: vergleiche N. C. Paul (en, indischer Mediziner im 19. Jahrhundert)
  2. WS: G. P. Blawatzky: vergleiche Helena Blavatsky (falsche Initialen angegeben; vgl. auch Seite 36.); eventuell ist hier die Passage A magical séance in Bengal aus Isis entschleiert (1877) gemeint.
  3. WS: Amerikaner Bancroft: eventuell Frederick Bancroft, Zauberkünstler im ausgehenden 19. Jahrhundert (?)
  4. WS: Hauptmann Seymour: Seymour desertierte und brach zweimal aus Anstalten in England aus, um in Indien wieder gefasst zu werden. Er war mit N. C. Paul bekannt; auch Blawatzky berichtete über ihn in From The Caves And Jungles Of The Hindostan.
  5. WS: Zunge des Jogis: vergleiche Khecarī mudrā (en)
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 291. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/369&oldid=- (Version vom 28.8.2018)