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wurden, deren Vermögenslage und Stellung zwar nichts zu wünschen übrig ließ, deren physische Eigenschaften aber nicht danach angetan schienen, die Braut zu einer glücklichen Frau zu machen. Um derartige Körbe weniger empfindlich klingen zu lassen, wissen die Astrologen dann in den Horoskopen der Beteiligten irgend welche Gründe zu finden, die ein Zustandekommen der Ehe widerraten. Sehr bemerkenswert ist auch die Tatsache, daß in Bengalen der Einfluß der Kaste neuerdings nicht mehr eine so überwiegende und unerschütterliche Bedeutung hat wie früher; in der Radschputana ist dies aber auch heute noch der Fall, und der Vater eines Mädchens verliert dort stets seinen Kastenrang, wenn es den Sohn eines Mannes von niederer Kaste ehelicht.

Das von mir vorhin geschilderte Umkreisen des Hochzeitsfeuers durch die beiden Schwiegermütter und das Salben des Brautpaares mit Öl bildet einen zwar sehr wichtigen, aber doch nur kleinen Teil der Zeremonien und Feierlichkeiten, die mit jeder Eheschließung verknüpft und nach Gegend und Kaste sehr verschieden sind. In wohlhabenden Familien Bengalens herrschen überaus umständliche Hochzeitsgebräuche, von denen viele jedoch vor dem Europäer so verborgen gehalten werden, daß ich mich bei deren Schilderung zum Teil auf die Angaben des gelehrten Hindu Schib Schönder Bose[WS 1] verlassen muß.

Bereits die der Verlobung vorhergehenden gegenseitigen Besuche der Anverwandten, Hausbrahmanen und Freunde des jungen Paares erfordern beträchtliche Ausgaben für möglichst glänzende Bewirtung, Gastgeschenke und Gaben an die Dienerschaft. Wenn keiner der Angehörigen der beiden zukünftigen Gatten, die sich gewöhnlich bis dahin noch nicht gesehen haben, begründete Einwände erhebt, wird der Ehekontrakt oder Pattra[WS 2] aufgesetzt, wobei aber ängstlich darauf geachtet wird, daß nur aus Bengalen stammendes Schreibmaterial und kein europäisches dabei verwendet wird; auch die Anzahl der Linien und andere Äußerlichkeiten sind durch Vorschriften geregelt. Dann erfolgt im Anschluß an ein überaus reiches und gastfreies Mahl der Austausch von glückverheißenden Gaben wie Betel, Reis, Sandelholz, Kaurimuscheln und einem Alta[WS 3] genannten, auf dünnes Bastpapier aufgetragenen Farbstoff, mit dem sich die Frauen und Mädchen brahminischer Hindus die Fußsohlen rot schminken; rote Lederpantoffeln pflegen nur mohammedanische Frauenzimmer zu tragen. Bei dieser, wie bei allen anderen mit der Eheschließung in Verbindung stehenden Feierlichkeiten wird von weiblichen Familienmitgliedern durch Blasen auf Muschelhörnern für möglichstes Bekanntwerden des Festes gesorgt und zur Teilnahme daran eingeladen.

An einem Tage von besonders günstiger Vorbedeutung wird dann der junge Bräutigam mit besonderer Sorgfalt gebadet, in ein rotes Gewand gekleidet und auf einen Mühlstein gestellt, den fünf verheiratete Frauen, deren Gatten noch am Leben sind und von denen eine eine Brahmanenfrau sein muß, fünfmal umkreisen, wobei sie ihn mit einer wohlriechenden Salbe betupfen, mit Gangeswasser besprengen und seine Stirn mit Betelblättern und zwanzig

aus Gold und Silber, sowie aus Reismehl geformten Modellen glückbringender

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Schib Schönder Bose: Shib Chunder Bose: Autor von The Hindoos as They Are: A Description of the Manners, Customs and the Inner Life of Hindoo Society in Bengal 1881 Google
  2. WS: Pattra: Begriff wurde so von Bose übernommen. Patri Patra, Patri-Patro dekha, Lagni-Patri sind erwähnt als Zeremonie bei der Hochzeit nach bengalisch-hinduistischer Tradition (en) bzw. bengalischer Tradition (en)
  3. WS: Alta: vergleiche Alta (dye) (en)
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/278&oldid=- (Version vom 7.5.2021)