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freilich oft nur durch geradezu barbarische Mittel erfolgreich gewesenen Männer in dem indischen Regierungssitze zu ehren gesucht hat, unbekümmert darum, daß diese Verherrlichung einen stetig schmerzenden Dorn für die Herzen patriotisch gesinnter Hindus bedeutet. Es ist eine stattliche Schar schneidiger Feldherrn und namhafter Generalgouverneure, die unbedeckten Hauptes von hohen Sockeln zu den scheu daran vorüberhuschenden Hindus hinunterschauen und an die vergeblichen Versuche tapferer Indier erinnern, Herren ihres eigenen Landes zu bleiben. Eine Spazierfahrt durch den von Europäern bewohnten Stadtteil, besonders durch den Tschoringhi[WS 1], die vornehmste, mit geräumigen Villen besetzte Straße Kalkuttas und längs der Rennbahn zeigt die Standbilder der unerschrockenen Lords, auf die England stolz zu sein alle Ursache hat: Lawrence, den Verteidiger, und Outram, den auf wildem Renner anstürmenden Befreier Laknaus, Ochterlony, den Bezwinger der tapfersten indischen Völker, der Sikhs und der Mahratten, Bentinck, Canning, Hardinge, Mayo, Northbrook[WS 2] — kurz, eine große Zahl um Indien verdienter Männer, in der jedoch die Vertreter anderer Nationen fehlen, die den Engländern durch ihre genialen Entwürfe die Wege zu ihrer heutigen Machtstellung in diesem Lande gebahnt haben; es ist auffallend wenig bekannt, wie kräftig sich gleichzeitig neben Engländern auch Franzosen bestrebt haben, Indien zu erobern, als es zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts durch die Kämpfe der Landesfürsten vollständiger Anarchie verfallen schien. Doch die kühnen, weitschauenden Franzosen fanden bei ihrer Regierung keine so verständnisvolle Unterstützung wie die englisch-ostindische Handelskompagnie und hatten auch nicht das Glück, Männer von so unerhörter Kühnheit, aber auch von so beispielloser Habgier und Rücksichtslosigkeit gegen die Forderungen von Recht und Billigkeit zu finden, wie Clive[WS 3] und Warren Hastings; wer sich über Clives Wortbrüchigkeit, über seine Fälschungen und Betrügereien, über Warren Hastings’ dreiste Erpressungen durch Folterung von Hindufrauen und andere „erfolgreiche“ Mittel zu unterrichten wünscht, der lese die in C. Scholls Studie „Erobert oder erräubert?“ (Bamberg 1901)[WS 4] unter Anführung der historischen Quellen zusammengestellten Belege nach; sie werden wohl jedem die Augen darüber öffnen, auf welche Weise das „stolze“ England in den Besitz Indiens und seiner Schätze gelangt ist und wie der brutale Egoismus, der von den modernen englischen Regierungsleitern angewandt wurde, um das sich gegen eine erdrückende Übermacht wehrende Burenvölkchen[WS 5] durch die Vernichtung der Frauen und Kinder auszurotten, nur ein recht trauriger Beweis dafür ist, daß Clive und Hastings würdige Nachfolger gefunden haben. Die früher viel schwächeren Verkehrsmittel und der trägere Nachrichtendienst waren schuld daran, daß damals Europa nicht noch mehr von den Schandtaten jener Männer erfuhr, denen England die Gründung Indiens verdankt.

Ich verkenne durchaus nicht, was England in Indien wie in allen von ihm beherrschten Ländern für die Entwicklung oder Vervollkommnung der

Kultur getan hat; aber ebenso sehe ich, wie wenig man gewöhnlich bei der

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Tschoringhi: vergleiche Chowringhee (en)
  2. WS: Ochterlony, Bentinck, Canning, Hardinge, Mayo, Northbrook: vergleiche David Ochterlony (en), William Cavendish-Bentinck (regierte 1828-1835), Charles Canning (regierte 1856-1862), Henry Hardinge (regierte 1844-1848), Richard Bourke, 6th Earl of Mayo (en, regierte 1869-1872), Thomas Baring, 1st Earl of Northbrook (en, regierte 1872-1876)
  3. WS: Clive: vergleiche Robert Clive (1725-1774)
  4. WS: C. Scholl: vergleiche Carl Scholl (1820-1907). Erobert oder erräubert? Geschichtlicher Nachweis wie England Ost-Indien nahm. Ein Seitenstück zum Burenkrieg.
  5. WS: Burenvölkchen: vergleiche Zweiter Burenkrieg (1899-1902), zur Drucklegung also hochaktuell.
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 189. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/249&oldid=- (Version vom 1.7.2018)