Seite:Durch Indien ins verschlossene Land Nepal.pdf/228

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

weitem auffallen und die einst weithin verkünden sollten, daß der Islam auch hier den brahminischen Hindukultus zu Boden geschmettert habe.

Doch diese Tage sind nun vorübergerauscht, und auf die Fremdherrschaft der Mohammedaner folgte eine andere, die klug genug ist, die Hindus nach ihrer Art selig werden zu lassen, sie in ihrem Kultusbetrieb nicht zu stören und damit zufrieden zu sein, daß die Steuern aus Indien pünktlich nach England abfließen.

Auch die Sehenswürdigkeiten von Benares möchte ich, als schon häufig geschildert, nicht der Reihe nach umständlich beschreiben, sondern nur durch einige Beispiele meinen Lesern näher bringen.

Eine häufig für Brahmanen gehaltene Horde zungenfertiger Fremdenführer treibt die eintreffenden Reisenden tagaus tagein mit übertrieben dienstfertiger Hast aus den übelduftenden Ställen der heiligen Kühe im geräuschvollen „goldenen Tempel“[WS 1] zu dem in keinem besseren Geruch stehenden Tempel der heiligen Affen[WS 2], von den blendenden Badetreppen zu dem sumpfigen Erlösungsbrunnen[WS 3], bis der betäubte und übersättigte fremde Reisende froh ist, den ganzen Tumult im Rücken zu haben — obgleich er oft den Wald vor Bäumen nicht gesehen hat.

Pfiffig, wie der Hindu nun einmal ist, bemüht er sich nämlich, den im stillen tiefgehaßten Europäer möglichst wenig an diejenigen Stellen gelangen zu lassen, an denen das indische Leben ungesehen die vollsten, schönsten aber auch zugleich zartesten Blüten treibt. Jedenfalls büßt durch das Gebaren der brahminischen Barkenführer die Kahnfahrt längs der Badeplätze, die Glanznummer jedes indischen Reiseprogramms, unendlich viel an Reiz ein. Angeblich fehlt es dafür bald an Fahrzeugen, bald an Fährleuten. Der Reisende ahnt es nicht, wie sich, indem er die entzückend kühlen Morgenstunden verschläft oder unwirsch verwarten muß, die Physiognomie des Gangesstrandes zu seinen Ungunsten ändert. Während im Scheine des Mondes, im Schimmer der aufdämmernden Morgenröte nur Vertreter der höchsten Kasten, Radschahs und Brahmanen, edle Frauen und zarte Mädchen, in hellfarbige Musselintücher gehüllt, in das Wasser hinabsteigen und das Gangesnaß aus goldenen oder silbernen Lotaschalen in vorgeschriebener Gießweise über ihre Glieder rieseln lassen, unbekümmert um das sonst in Benares so streng beobachtete System der Frauenabschließung, werden von Stunde zu Stunde die Badenden minderwertiger. Sind nach Sonnenaufgang nur noch armselige, verkümmerte Gestalten der letzten des Volkes an den Ufern zu sehen, dann läßt der listig lächelnde Hinduführer den Europäer großmütig dieses dürftige Schauspiel genießen, so daß dieser häufig genug seiner Enttäuschung gereizten Ausdruck verleiht. Daß die eben erwähnte Abschließung nur ehrbare Frauen und nicht die dreist aus ihren Fenstern lugenden öffentlichen Tänzerinnen betrifft, versteht sich von selbst.

Ähnlich verhält es sich auch mit dem Besuche der Tempel. Wohl sieht der

Reisende genug derselben und darinnen widerliche, unsaubere Bettler und

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: goldener Tempel: vergleiche Kashi-Vishwanath-Tempel
  2. WS: Affen-Tempel: vergleiche Durga Mandir, Varanasi (en)
  3. WS: Erlösungsbrunnen: vergleiche Gyanvapi Mosque, Gyan Vapi well (en)
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 176. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/228&oldid=- (Version vom 1.7.2018)