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stahlklirrender Rüstungen umkleiden zu können; einst zogen diese hier einher, geschmückt mit den schon in den ältesten Zeiten als Schildzier benutzten Wappenbildern und mit Turban oder Helmbüschen aus Federn vom Pfau, dem Reittier des indischen Kriegsgottes Kartikeja[WS 1], einem Helmschmuck, dessen Anwendung sich später von Indien aus nach Westen verbreitete und durch die Kreuzfahrer bis nach Deutschland gelangte.

Friedlich ging es ja niemals in diesen Gebieten Indiens zu, die den Einfallspforten nahe lagen, aus denen sich die mohammedanischen Eroberer Indiens, die Moguls, und vor diesen schon Ströme skythischer Asiaten[WS 2] nach Indien ergossen. Von solchen Reitervölkern, die sich mit den hier bereits angesiedelten brahminischen Ariern vermischten, stammen die Radschputen ab, die schließlich fast allein die Kriegerkaste Indiens bildeten; bald zerstreuten sie sich über das ganze Land und könnten heute dessen Herren sein, wenn sie nicht durch kleinliche Streitigkeiten von der Einigkeit abgehalten worden wären, mit der sie sowohl den anstürmenden Islam wie auch später die Angriffe der ebenso kriegerischen Mahratten, gleich ihnen selber brahminischer Hindus, zu Boden geschlagen haben würden. Daß aber indische Streiter auch die Angriffe englischer Truppen siegreich abweisen können, haben die vergeblichen Erstürmungsversuche Burfurs im Jahre 1805 erwiesen, in denen General Locke Tausende seiner Soldaten nutzlos opfern mußte[WS 3].

Der Brahminismus dieser Kriegerkaste sieht freilich wesentlich anders aus als die Grundsätze, nach denen die anderen indischen Kasten, vor allen die Brahmanen, zu leben verpflichtet sind. Die Anforderungen ihres Berufes als Soldaten, der den Blut und Blutvergießen scheuenden anderen Hindus nicht sympathisch sein konnte, geboten eine kräftigere Nahrungsweise als die übliche vegetabilische, so daß den Radschputen Fleischkost erlaubt war, natürlich mit Ausnahme von Speisen aus dem Fleisch des für geheiligt angesehenen Rindes. Aber auch andere Anschauungen, die mit dem stolzen Kriegersinn zusammenhingen und von denen der anderen Hindus abwichen, brachen sich hier Bahn, und ebenso entsprang hier eine besondere Literatur an Heldensagen, die von den Barden bei allen heroischen oder festlichen Gelegenheiten angestimmt wurden, mochte es in die Schlacht gehen oder zu Tier- und Gladiatorenkämpfen oder zum Gelage, mochten in den Burggräben Kriegsgefangene hingeschlachtet oder geächtete, nur mit Schwert und Schild ausgestattete Stammesgenossen auf wildem Rappen aus dem Burgtor gejagt werden. Überall hatte ich in der Radschputana das Gefühl, daß hier einst sicherlich dem Lebensideal der Indier nachgelebt wurde, das Nitisataka[WS 4] in die Worte gekleidet hat:

Friedlich im Glück sein, trotzig in Fehden,
Standhaft im Unglück sein, Ehre erstreben,
Redegewandt sein und kundig der Weden:
Das ist der Edlen natürliches Leben!

Man weiß nicht, welche Teile der in verschiedenen Zeiten errichteten, nunmehr arg vernachlässigten und zerfallenden Gebäude auf der Burg am

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Kartikeja: vergleiche Karttikeya
  2. WS: skythische Asiaten: vergleiche Saken
  3. WS: Belagerung von Burfur durch General Locke: vermutlich gemeint: Belagerung von Bharatpur durch General Gerard Lake
  4. WS: Nitisataka: gemeint ist das Niti-sataka von Bhartrihari, Nr. 63, übersetzt von Johannes Hertel
Empfohlene Zitierweise:
Kurt Boeck: Durch Indien ins verschlossene Land Nepal. Ferdinand Hirt & Sohn, Leipzig 1903, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Durch_Indien_ins_verschlossene_Land_Nepal.pdf/190&oldid=- (Version vom 1.7.2018)