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2) Die Weiber von Weinsberg von Bürger. 1774. *)[1]
Zu Seite 14.


Wer sagt mir an, wo Weinsberg liegt?
Soll seyn ein wackres Städtchen,
soll haben, fromm und klug gewiegt,
viel Weiberchen und Mädchen.
Kömmt mir einmal das Freien ein,
so werd’ ich Eins aus Weinsberg frei’n.

Einsmals der Kaiser Konrad war
dem guten Städtlein böse,
und rückt’ heran mit Kriegesschaar
und Reisigengetöse,
umlagert’ es mit Roß und Mann
und schoß und rannte drauf und dran.

Und als das Städtlein widerstand
trotz allen seinen Nöthen,
da ließ er, hoch von Grimm entbrannt,
den Herold ’nein trompeten:
ihr Schurken, komm ich ’nein, so wißt,
soll hängen, was ein Mannsen ist.

Drob, als er den Avis also
hinein trompeten lassen,
gabs lautes Zettermordio
zu Haus und auf den Gassen.
Das Brod war theuer in der Stadt;
Doch theurer noch war guter Rath.

„O weh mir armen Korydon!
o weh mir!“ die Pastores
schrie’n: Kyrie eleyson!
wir geh’n, wir geh’n kapores!
o weh mir armer Korydon!
es juckt mir an der Kehle schon.“

Doch wenn’s Matthä’ am Letzten ist,
trotz Rathen, Thun und Beten,
so rettet oft noch Weiberlist
aus Ängsten und aus Nöthen.
Denn Pfaffentrug und Weiberlist
geh’n über Alles, wie ihr wißt.


  1. *) G. Schwab sagt (in „Schwaben“ p. 38) von diesem Gedichte: Hätte Bürger, der lebenskräftige und für ächtes Gefühl sonst so offene Dichter, die Sagenpoesie auf der Stufe ihrer jetzigen Bildung angetroffen, so würde er den rührenden Stoff nicht zu einer scurrilen Romanze verarbeitet und schwerlich im Bänkelsängertone begonnen haben: „Wer sagt mir an, wo Weinsberg liegt?“ u. s. w. Doch gehört diese Verirrung mehr seiner Zeit, als seinem oft über solche Irrthümer erhabenen Genius an.