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Verschiedene: Die zehnte Muse


»Und zu mir kommt gar keine Sonne herein.«
»Nun,« meint sie mit einem fröhlichen Nicken,
»Ich werd’ etwas Sonne hinunterschicken.«

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»Dürfte ich sie nicht holen kommen?«

»Nein, i bewahre!« Und im Lauf
Rennt sie die vier Treppen hinauf. – – –

Doch seltsame Dinge geschehen im Mai,
Am selben Abend, der Mond schien herein,

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Holte er noch seinen Sonnenschein.
Alice Berend.





Meine Nachbarin.

Meine Nachbarin ist lange blind
Und hat nicht lang zu leben;
Ihre Tochter trägt ein ledig Kind,
Weiss nicht, wem Schuld zu geben.

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Das katzebalgt nun Tag um Tag,

Und schimpft sich um die Wette;
Für Scheltwort Scheltwort, Schlag für Schlag –
Die reine Bettlermette.

Dazwischen wächst ein junges Blüh’n –

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Man möcht’ es Sumpfdost heissen: –

Die Wangen rot, die Lippen glüh’n,
Die dunkeln Augen gleissen.

Noch fliesst ein Strahl des reinen Lichts
Um ihre helle Stirne –

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Noch weiss sie nichts, noch ahnt sie nichts,

Und lacht schon wie die Dirne …

J. J. David.





Die Aehren.

Der Abend war selbst wie ein Wunder der Liebe.
Sie gingen umschlungen und stumm vor Liebe
Aus den Feldern dem träumenden Dorfe zu.

Sie lehnte sich wärmer an ihn. Sie sagte

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So still, als wenn der Abendwind klagte:

»Im Korn, das war doch eine Sünde, du!«


Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die zehnte Muse. Otto Elsner, Berlin 1904, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_zehnte_Muse_(Maximilian_Bern).djvu/46&oldid=- (Version vom 31.7.2018)