Verschiedene: Die zehnte Muse | |
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Aus Sturmes Not.
Eiskalt die Nacht! Am Nordseestrand
Wütet ein Sturm über See und Sand.
Die Brandung donnert, die Wogen rollen –
Wie Himmel und Meer mit einander grollen!
Hören es, wie die Windsbraut brüllt,
Die wuchtig über die Dünen fegt,
Wild grimmig auf Giebel und Dächer schlägt. –
Nun dröhnt bei des Morgens Dämmerschein
Ein Schiff in Not! Da springen sie auf
Alte wie Junge zum Strand im Lauf
Und sehen gescheitert, fest auf dem Riff
Ein unabbringlich verlorenes Schiff.
Wenn’s menschenmöglich, zum Schreckensort!
Doch wo ist Harro? Der Führer fehlt,
Der alle mit seinem Mute beseelt.
Im nächsten Dorfe blieb er zur Nacht,
Sie können nicht warten; dort gähnt das Grab
Seeleuten wie sie – so stossen sie ab.
Sie legen sich in die Riemen mit Macht;
Die Dollen ächzen, die Planke kracht,
Sturzseen bringen’s in grausige Not,
Dass denen am Strande das Herz erhebt.
So haben noch keinen Nordwest sie erlebt.
Doch die auf dem Wasser, in Stürmen erprobt,
Sie steuern dem Schiffe näher und nah,
Und endlich, endlich sind sie nun da,
Von denen als Retter mit Jubel begrüsst,
Denen das Leben schien eingebüsst.
Die Masten nur steh’n noch in steigender Flut,
Dran klammern sich die Verschlag’nen und harr’n,
Dass ihnen die Glieder in Kälte erstarr’n.
Die Fischer bergen sie Mann für Mann,
Er selbst kann sich nicht regen mehr,
Und das Boot ist voll, ist schon zu schwer,
Liegt schon zu tief in den brechenden Well’n;
Fort müssen sie ohne den armen Gesell’n.
Verschiedene: Die zehnte Muse. Otto Elsner, Berlin 1904, Seite 311. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_zehnte_Muse_(Maximilian_Bern).djvu/317&oldid=- (Version vom 31.7.2018)