Verschiedene: Die zehnte Muse | |
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Der Gärtner und der Schmetterling.
Ach gönne mir das Glück, mein Leben frei zu enden!
So bat ein Schmetterling in seines Fängers Händen,
Noch wenig Tage sind zum Fliegen mir erlaubt,
Was hilft die Grausamkeit, die mir auch diese raubt?
Ein unvermisster Saft ist alles, was mich nähret.
»Dein Flehen bringt mich nicht zu unbedachter Huld,«
Sagt ihm der Gärtner drauf, »stirb jetzt für alte Schuld;
Wollt’ ich der Raupe That dem Schmetterling vergeben,
Auch bei der Bess’rung Schein befiehlt des Bösen Tod
Das Uebel, das er that, und mehr noch, das er droht.
Das Gelöbnis.
Will mir die Mädchen aus dem Sinne schlagen!
Gelobt’ ich mir. Doch als der Abend kam,
War’s Aphrodite, die im Fackelwagen,
Von Rosenduft und blauem Tau getragen,
Die sanfte Welt, in die ich Rosen streute,
Hat dein Gelöbnis wie ein Fluch entweiht!
Doch will ich wachen, bis dein Herz bereute –
Sieh’ hin, die Nacht ist voller Wunder heute,
Ich sah umher … Da stand in schwarzen Flören
Das bleiche Leid vor meinem weissen Haus.
Da kam ein Lied, wie Geigenton zu hören:
Man trug, umrauscht von tiefen Trauerchören,
Und dunkle Mönche, nächst dem Brückenbogen,
Flüsterten leise in die laue Nacht:
Ein fromm Gelübde, seiner Brust entflogen,
Hat ihm der Frauen holde Gunst entzogen!
Verschiedene: Die zehnte Muse. Otto Elsner, Berlin 1904, Seite 264. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_zehnte_Muse_(Maximilian_Bern).djvu/270&oldid=- (Version vom 31.7.2018)