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Verschiedene: Die zehnte Muse

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Denket nur, was ich zu tragen,

Ach, es ist nicht auszusagen!
Tausend Briefe, Grüsse, Fragen
Und Millionen Seufzerklagen.

Ruhig ziehen lässt mich keiner,

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Alles schleppen soll ich einer;

Wo ich komme, meiner warten
Hundert schon in Haus und Garten.

Hat mir vor dem Weiterziehen
Eine Wolke Schutz geliehen,

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Um ein wenig nur zu rasten,

Gleich erhalt' ich neue Lasten:

»Ihr und ihm viel hundert Grüsse!«
»Ihr und ihm ach, tausend Küsse!«
»Er soll ewig mein gedenken!«

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»Sie soll ganz ihr Herz mir schenken!«


So geschieht's seit ew'gen Zeiten,
Seit aus Liebe ich begleiten
Muss die jungfräuliche Erde, –
Wahrlich, bald mir zur Beschwerde.

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Selbst aus Liebe nachtzuwandern

Und noch Bote sein den andern:
Nein, da wundert nicht euch, Leute,
Wenn ich bleich und langsam schreíte!


Witold Leo.






Hinter den Kulissen.

Der Saal erstrahlt im Lichterglanz,
Die Herrschaft hat jour fix mit Tanz. –
Zum Schlüsselloch schleicht's Zöfchen sacht
Und lauscht hinein in all die Pracht.

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Sie seufzt; ihr Herze wird so schwer:

„Wenn ich doch auch ein Fräulein wär!
Wie sie sich fein und zierlich drehn,
Wie ihre lichten Kleider wehn!
So fein gemessen lächeln sie,

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So kühl und vornehm fächeln sie!" –

Sie meint, sie spürt die Kühle noch,
Die zu ihr strömt durchs Schlüsselloch.

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Verschiedene: Die zehnte Muse. Otto Elsner, Berlin 1904, Seite 198. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_zehnte_Muse_(Maximilian_Bern).djvu/204&oldid=- (Version vom 31.7.2018)